Navigation

HINWEIS: Sie betrachten einen archivierten Inhalt. Bitte besuchen Sie auch unseren aktuellen Auftritt unter www.incobs.de

Bereichsmenü: Über INCOBS


Sie sind hier: Startseite > Über INCOBS > Veröffentlichungen > Artikel: Archiv > Arbeiten und Kommunizieren - neue Hilfsmittel und barrierefreie Informationstechnik

Arbeiten und Kommunizieren - neue Hilfsmittel und barrierefreie Informationstechnik

Arbeiten und Kommunizieren - neue Hilfsmittel und barrierefreie Informationstechnik

Workshop vom 4. und 5. März 2004 - Tagungsbericht

Auf dieser Seite informieren wir Sie ausführlich über die einzelnen Tagesordnungspunkte unseres Workshops vom 4. bis zum 5. März 2004 in Fulda. Sie haben auch die Möglichkeit, sich den kompletten Workshopbericht im rtf-Format herunterzuloaden.

Veranstalter waren der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. und die DIAS GmbH mit dem Projekt INCOBS (Informationspool Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte).


Begrüßung Thomas Lilienthal

Ich darf Sie im Namen der DIAS GmbH herzlich willkommen heißen zum INCOBS-Workshop "Arbeiten und Kommunizieren - neue Hilfsmittel und barrierefreie Informationstechnik". Ich muss es eigentlich nicht betonen: Alle, die sich heute und morgen am INCOBS-Workshop beteiligen, wissen es: zugängliche PC-Arbeitsplätze sind für die berufliche Integration blinder und sehbehinderter Menschen heute unverzichtbar. Und auch in Freizeit und Privatsphäre spielt die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie eine immer bedeutendere Rolle.

Hier setzt - auch das wissen die meisten von Ihnen bereits - INCOBS an. INCOBS steht für "Informationspool Computerhilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen" - und genau das soll es auch sein. Ein Angebot an neutralen, aktuellen und nutzerrelevanten Informationen über eine immer größer werdende Zahl sehr spezieller Hard- und Softwareprodukte, die Blinden und Sehbehinderten den Umgang mit dem Computer, oder besser gesagt, mit moderner Informations- und Kommunikationstechnologie, ermöglichen.

Bevor ich zu Inhalten des Workshops komme, noch ein, zwei Sätze zur DIAS GmbH, die - unterstützt von den Blinden- und Sehbehindertenverbänden - hinter INCOBS steht. Die DIAS ist ein Forschungs- und Dienstleistungsunternehmen im Rehabilitationsbereich. Vor 9 Jahren aus der Arbeitsstelle Rehaforschung der Universität Hamburg hervorgegangen. Heute finden sich bei der DIAS ca. 15 Mitarbeiter, darunter vor allem: Sozialwissenschafter, Informatiker und Ingenieure (einige Mitarbeiter sind dem Gesetz nach schwerbehindert). Wir beschäftigen uns in verschiedenen Projekten mit der Qualität von Produkten und Dienstleistungen. Wir sind Experten für Marktanalysen, Qualitätsstandards, Produkttests - vom Rollstuhl über das Betreute Wohnen bis hin zum Computerhilfsmittel. Wir schulen behinderte Menschen am PC. Wir entwickeln Werkzeuge zur Erfassung von Barrieren: im baulichen Bereich wie auch im Internet. Wir arbeiten streng anbieterneutral, fühlen uns dem Verbraucherschutz verpflichtet und entwickeln entsprechende Informationsangebote. Zurück zum aktuellen Thema. Warum nun dieser Workshop, mag sich der eine oder andere fragen? Zwei Antworten habe ich auf diese Frage parat. Zum einen wollen wir INCOBS auf den Prüfstand stellen:

  1. Sind Sie als Experten mit den bisherigen Schwerpunkten, mit Qualität und Umfang des INCOBS-Informationsangebotes oder mit der Ergebnisaufbereitung einverstanden?
  2. Welche inhaltlichen Schwerpunkte sind für die INCOBS-Zukunft wichtig?
  3. Genügt es, sich allein auf Arbeitsplatzanforderungen und technische Möglichkeiten zu beschränken?
  4. Ist es nicht auch notwendig, über produktnahe Dienstleistungen, über spezialisierte Beratungsangebote und über die Qualität von PC-Schulung für blinde und sehbehinderte Menschen zu informieren?
  5. Und worauf ist jenseits des Hilfsmittels, jenseits von Braillezeile und Großbildlesesystem zu achten? Geht es - moderne Arbeitsplatzplätze vor Augen - nicht auch um die Nutzbarkeit von Laptop, Mobiltelefon und PDA?

So, dass war die eine Antwort auf die Frage, warum dieser Workshop. Die zweite fällt ein wenig kürzer aus. Letztlich soll es heute und morgen darum gehen, gemeinsam mit Experten und Betroffenen aus unterschiedlichsten Bereichen, wichtige Fragen zur Hilfsmittelversorgung blinder und sehbehinderter Menschen zu diskutieren, Erfahrungen auszutauschen, wenn möglich zu einer Bestandsaufnahme zu gelangen und vielleicht Vorschläge oder Strategien für die Zukunft zu entwickeln.

Ich wünsche Ihnen - uns allen - einen informativen und anregenden Workshop "Arbeiten und Kommunizieren - neue Hilfsmittel und barrierefreie Informationstechnik".

INCOBS wäre ohne die Unterstützung der Blinden- und Sehbehindertenverbände nicht denkbar. Ich freue mich daher sehr, Herrn Karsten Warnke als Vertreter des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands e.V., das Wort erteilen zu können.


Begrüßung Karsten Warnke

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Heike Clauss, lieber Thomas Lilienthal, der frisch gebackene Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V., Andreas Bethke, hat mich gebeten, die Grußworte des DBSV zu übermitteln. Gern komme ich dieser Bitte nach. Besonders lässt der DBSV-Präsident Jürgen Lubnau grüßen und auch der Vorstand des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V., dem ich angehöre.

Wenn es um Hilfsmittel geht, brauchen blinde und sehbehinderte Menschen besondere Entscheidungshilfen. INCOBS gibt diese Entscheidungshilfen. Tests, Marktübersichten, Produktbeschreibungen helfen, Licht in den Hilfsmitteldschungel zu bringen. Der DBSV unterstützt INCOBS durch Mitherausgabe von Handreichungen.

Die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe verfügt über ein Netz von Beratungsstellen. Einige Landesverbände bieten ständige Hilfsmittelausstellungen an. Zusammen mit INCOBS steht damit umfassendes Expertenwissen firmenunabhängig zur Verfügung.

Die bisher fruchtbare Zusammenarbeit zwischen DIAS und der Selbsthilfe kann selbstverständlich weiter ausgebaut werden.

Was fehlt, sind einheitliche Qualitätsanforderungen für Beratungsangebote. Es fehlt die Konzentration von Beratungsangeboten aus einer Hand. So müssen getrennte Angebote von Low-Vision- und Hilfsmittelberatung im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes zusammen geführt werden.

Vor dem Hintergrund aktueller Sparbeschlüsse ist dies eine große Herausforderung für die Selbsthilfe. So erhält die Selbsthilfe in diesen Zeiten eine neue Bedeutung und sie muss ihr Selbstverständnis überdenken.

Wo besonderer Entwicklungs-Beratungsbedarf gleichermaßen besteht, zeigt ein Beispiel: Auf einem Internet-Workshop für Sehbehinderte musste ich folgende Unzulänglichkeiten feststellen:

  1. Die Vergrößerungssysteme liefen nicht stabil
  2. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beherrschten ihre Hilfsmittel nur unzureichend.
  3. Es mangelte an Beratung hinsichtlich der Hilfsmittelauswahl und der Kostenübernahme,
  4. Internetseiten verfügten über vielfältige Barrieren.

Blinde und sehbehinderte Menschen wollen in der Informationsgesellschaft nicht abgehängt werden. Sie brauchen daher barrierefreie Informations- und Kommunikationstechniken. Sie benötigen funktionelle Hilfsmittel und spezielle Beratungs- und Unterstützungsangebote.

Die Firma DIAS GmbH ist ein kompetenter Partner der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe. Daher sind wir auch eine weitere, sehr enge Kooperation mit DIAS eingegangen. Das Gemeinschaftsprojekt "barrierefrei informieren und kommunizieren" (BIK), in dem DIAS, DBSV und DVBS Partner sind, berät und unterstützt bei der barrierefreien Gestaltung von Webseiten und CD-ROMs.

Eine herausragende Rolle nimmt der Gemeinsame Fachausschuss für IT-Systeme (FIT) der Blinden- und Sehbehindertenverbände ein. Er ist nicht nur ein kritischer Begleiter der Projekte INCOBS und BIK, sondern auch deren Ideengeber.

Der FIT hat wichtige Pionierarbeit geleitstet mit der Beschreibung von Anforderungen für die Gestaltung von

  • Internet,
  • grafischen Programmoberflächen,
  • Screenreadern und Vergrößerungsprogrammen und Computerschulungen.

Als ehemaliger Leiter des FIT freue ich mich ganz besonders, Sie hier so zahlreich begrüßen zu dürfen.

Ich wünsche dem INCOBS-Workshop einen erfolgreichen Verlauf.


Ziele und Aufgaben des INCOBS-Projektes

Rahmendaten

INCOBS (Informationspool Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte) wird vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gefördert und von der DIAS GmbH mit Unterstützung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands e.V. (DBSV) und des DVBS (Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V.) durchgeführt.

INCOBS läuft seit 1999, im Jahr 2003 wurde eine Weiterförderung bis 2007 bewilligt (offiziell nun INCOBS2).

Voraussetzung

Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien sind auch für blinde und sehbehinderte Menschen Teil des Alltags geworden. Möglich ist dies durch spezielle elektronische Hilfsmittel.

Besonders im Beruf ist die optimale Ausstattung mit leistungsfähigen Hilfsmitteln und barrierefreier Kommunikationstechnik unerlässlich. Erst sie ermöglicht Arbeitnehmern mit Seheinschränkungen die Chance auf zukunftsfähige Arbeitsplätze.

Probleme gibt es bei der Auswahl geeigneter Computerhilfsmittel. Es mangelt an aktuellen und herstellerneutralen Informationen über das Leistungsspektrum der einzelnen Produkte. Die Folge: die eingesetzte Hard- oder Software genügt häufig nicht den individuellen Arbeitsplatzanforderungen.

Ziele und Aufgaben

INCOBS unterstützt die Einrichtung von Computerarbeitsplätzen für Blinde und Sehbehinderte. Ziel ist es, den Hilfsmittelmarkt transparenter zu gestalten und Anwender und Berater bei der Auswahl geeigneter Produkte zu unterstützen.

Hierfür erstellt INCOBS Marktübersichten, prüft das Leistungsspektrum wichtiger elektronischer Hilfen und stellt Checklisten zur Produktauswahl zur Verfügung.

Die Produkttests werden gemeinsam mit Anwendern und Experten entwickelt. Die Hilfsmittelanbieter stellen INCOBS ihre Produkte für die Tests zur Verfügung. Überprüft wird die Zugänglichkeit wichtiger Anwendungsprogramme sowie die Bedienbarkeit und Ergonomie von Hard- und Software. Die vergleichenden Produkttests ermöglichen herstellerneutrale Informationen zur Leistungsfähigkeit elektronischer Hilfen.

Neu im Projekt INCOBS2 sind Tests der Nutzbarkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien für Blinde und Sehbehinderte.

In Zusammenarbeit mit Testpartnern wie der Stiftung Warentest werden elektronische Produkte, z.B. Handys oder Spracherkennungssoftware, auf ihre Zugänglichkeit getestet.

Die Produkttests sind Grundlagen für die Informationsangebote von INCOBS. Die Testergebnisse werden in detaillierter Form veröffentlicht, fließen aber auch in Produktbeschreibungen und Checklisten zur Produktauswahl ein.

Adressaten

INCOBS wendet sich mit seinen Informationsangeboten an:

  • Anwender, die herstellerneutrale Informationen zur Auswahl geeigneter Hilfsmittel suchen,
  • Berater, die aktuelle Informationen zum Stand der Hilfsmitteltechnologie benötigen,
  • Betriebe, die PC-Arbeitsplätze für Blinde und Sehbehinderte einrichten möchten,
  • Hilfsmittelhersteller, die die Testergebnisse zur Produktentwicklung nutzen können.

Informationsangebote

Internetportal www.incobs.de

Die detaillierten Testergebnisse sowie weitere Informationen, z.B. Neuigkeiten auf dem Hilfsmittelmarkt, Marktübersichten, Tipps und Checklisten zur Produktauswahl, wichtige Adressen und Ansprechpartner, werden auf der INCOBS-Internetseite unter www.incobs.de veröffentlicht.

Schwarzschriftreihe "Information zur Arbeitsplatzausstattung"

Die Broschüren sind bislang erhältlich für die Produktgruppen: Bildschirmlesegeräte, Braillezeilen, Großbildsysteme, Lesesprechgeräte, Screenreader und Webreader. Funktionen und Aufgaben der Hilfsmittel werden erklärt, der Anwender erfährt, worauf bei der Anschaffung zu achten ist und erhält über ein Einlegeblatt die Adressen der jeweiligen Anbieter.

Multiplikatorenberatung

Die Erfahrungen der ersten vier Projektjahre belegen, dass der Informations- und Beratungsbedarf zum Thema Computerhilfsmittel sehr hoch ist. Entsprechende Angebote gibt es auf regionaler Ebene nur punktuell.

In INCOBS2 wird gemeinsam mit den Vertretern der Betroffenen ein Informations- und Beratungsangebot für Multiplikatoren aufgebaut. In Form von Seminaren und Workshops sollen interessierte Berater, Schwerbehindertenvertretungen, Blinden- und Sehbehindertenlehrer sowie Mitarbeiter von Kostenträgern über den Stand der Technik, über Möglichkeiten und Grenzen von Hilfsmitteln aktuell und anbieterneutral informiert werden.


Podiumsdiskussion: Arbeiten und Kommunizieren in der Zukunft - Chancen und Risiken für Blinde und Sehbehinderte

Teilnehmer: Prof. Dr. Wolfgang Wünschmann (Technische Universität Dresden, Fachbereich Mensch-Maschine-Kommunikation mit Schwerpunkt für Menschen mit Behinderungen, speziell sehgeschädigte Menschen, Beauftragter für die Belange behinderter Studierender)

Moderation: Heike Clauss (DIAS GmbH)

Einführung

In der Podiumsdiskussion sollen Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien beleuchtet werden. Welche Voraussagen lassen sich für die Zukunft treffen? Welche relevanten Neuerungen wird es geben? Können Hilfsmittel auch weiterhin Zugangsschranken überwinden und vor welche Anforderungen werden Hilfsmittelentwickler und -nutzer zukünftig gestellt?

Angesprochen werden sollen außerdem die Fragen: Wird in Zukunft eher darauf geachtet, Produkte von vornherein barrierefrei zu gestalten? Wird sich ein "Design for all" durchsetzen oder muss mit der Weiterentwicklung der neuen Technologien eher eine Ausgrenzung behinderter Menschen befürchtet werden?

Neue Entwicklungen im Bereich der IuK-Technologien

Herr Prof. Dr. Wünschmann

Herr Prof. Dr. Wünschmann führt aus, dass sich Entwicklungstrends von Technologien anhand von Modellen analysieren und bewerten lassen. Die Frage nach Entwicklungstendenzen von technischen Hilfen für behinderte oder speziell sehgeschädigte Menschen lässt sich anhand von Modellen gliedern, die Mensch-Maschine-Systeme / Werkzeuge beschreiben.

Herr Prof. Dr. Wünschmann nennt drei wichtige Komponenten dieser Modelle:

  • Die Werkzeuge: Ob im Privatleben oder im Beruf, behinderte Menschen sind auf hochspezialisierte Hilfsmittel angewiesen, die einen universellen Zugriff auf verschiedenste technologische Anwendungen ermöglichen. Nach Herrn Prof. Dr. Wünschmann geht die Tendenz in Zukunft in Richtung einer Zunahme adaptiver Werkzeuge oder Systeme.
  • Menschen brauchen mehr noch als in der Vergangenheit die Befähigung, die Werkzeuge zu nutzen. Daher ist für die Zukunft mit einer Dynamisierung des Bildungsbereichs zu rechnen. Dies gilt auch für behinderte Menschen.
  • Die dritte Komponente beschreibt Veränderungen gesellschaftlicher Organisationsstrukturen. Hier wird die Komplexität immer größer, und trotz der Möglichkeiten der "elektronischen Welt" nimmt die Transparenz ab. Aber aus diesem Widerspruch entsteht Entwicklung.

Weitere Aussagen für die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien

In den letzten 5 -10 Jahren wurde vorausgesagt, Informatik entwickelt sich weiter zur Telematik. Inzwischen ist es hier nun ruhiger geworden. So war der allseits angekündigte Trend zur Telearbeit "modisch" überhöht.

Neues Schlagwort zur Zeit ist die Biomatik, also die Verbindung zwischen Informatik und Biologie, z. B. elektronisch / biologische Interfaces. Laut Prof. Dr. Wünschmann wird es hier in den kommenden 10 Jahren zu produktreifen Lösungen kommen.

Im Bereich der Kommunikationstechnologien kann man von unterschiedlichen Generationen sprechen:

  1. Generation: Telefonie (Festnetz) und stationäre PCs
  2. Generation: Mobilfunk, Laptop, PDA usw.
  3. Generation: Hier befinden wir uns zur Zeit. Kennzeichnend sind Smart Handys mit Verbindung zum Web und die entsprechenden Nutzeffekte, die im mobilen Bereich mit territorialer Navigation verbunden sind, also z. B. Handys mit GPS-System.

Wie wird eine 4. Generation aussehen?

Der Bereich Smart Handys und Webtechnologie ist zur Zeit im Wesentlichen auf Kommunikation bezogen. Zukünftig wird die Prozesskommunikation einbezogen werden. Anwendungsbeispiel ist das sog. Intelligente Wohnen, bei dem es möglich ist, über ein zentrales Steuerungsgerät, wie z. B. das Handy, verschiedene Elektrogeräte wie Heizung, Kühlschrank, Waschmaschine usw. im Haus zu bedienen.

Herr Friehoff

Herr Friehoff referiert über die zukünftige Entwicklung im Hilfsmittelbereich. Ein wichtiges Stichwort - genau wie bei den allgemeinen IuK-Technologien - ist die Mobilität. So haben letztes Jahr auf der SightCity (Messe für Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte) einige Anbieter mobile Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte vorgestellt.

Mobilität geht laut Herrn Friehoff mit drahtloser Kommunikation einher. Drahtlose Kommunikation wird seiner Meinung nach ein zentraler Punkt der Zukunft sein. Dies gelte sowohl im Nahbereich, also zwischen Geräten, als auch in der IP-Welt (Internetprotokoll-Welt).

Herr Friehoff nennt einen weiteren Aspekt, der die Entwicklungstendenzen von Blindenhilfsmitteln bestimmt: Mit der Firma Microsoft wurde Computertechnik in den letzten 10 Jahren stark monopolisiert; ein großer Prozentsatz der (Büro-)Arbeitsplätze wird durch Microsoft ausgerüstet. Die Hersteller von Hilfsmitteln müssen daher besondere Bemühungen unternehmen, um zukünftige Entwicklungen und Technologie von Microsoft auch für Blinde und Sehbehinderte nutzbar zu machen.

Auf der anderen Seite dürfen aber mögliche Alternativen nicht ausgeblendet werden. Ansonsten würde die Gefahr bestehen, dass bestimmte Arbeitsplätze oder Kommunikationsmöglichkeiten nicht zugänglich gemacht werden.

Herr Friehoff / Herr Prof. Dr. Wünschmann

Auf die Frage, ob LINUX in Zukunft ein Konkurrenzprodukt zu Microsoft darstellen könnte, weisen Herr Friehoff sowie Herr Prof. Dr. Wünschmann darauf hin, dass die Gegenüberstellung von LINUX und Windows auf den Bereich der Bürokommunikation beschränkt ist. Wenn man über das Thema IuK-Technologien diskutiert, muss man den Bereich weiter fassen und z. B. Bordsysteme in Fahrzeugen oder den Einzug von Betriebssystemen in Haushaltsgeräte betrachten. Es gibt hier eine Vielzahl unterschiedlicher Betriebssysteme.

Neue Technologien: Chancen und Risiken für Blinde und Sehbehinderte

Herr Warnke

Herr Warnke betont, dass unterschiedliche Betriebssysteme im Bereich der Arbeitsplatzausstattung aus Anwendersicht nicht unbedingt wünschenswert sind. Einerseits hoffen viele auf eine Konkurrenz zu Microsoft, und dies könnte auch Anstoß für Verbesserungen der Produkte sein. Auf der anderen Seite müssen unterschiedliche Systeme erst einmal von den Hilfsmittelfirmen zugänglich gemacht werden. Und dies bindet viele Ressourcen.

Aus Anwendersicht wäre es wünschenswert, wenn sich grafische Benutzerflächen und auch Hilfsmittel (Vergrößerungssysteme, Screenreader) annähern, ohne jedoch, dass Innovationen durch miteinander konkurrierende Firmen ausbleiben. Insgesamt sieht Herr Warnke die Entwicklung für Blinde und Sehbehinderte als widersprüchlich:

Einerseits wurden durch die modernen IuK-Technologien neue Möglichkeiten geschaffen, z. B. der universelle Zugriff auf Informationen (vor allem durch das Internet). Andererseits sind aber neue Barrieren entstanden, z. B. durch Displays, die immer kleiner werden, oder durch kleine Bedienelemente.

Werden Displays eingesetzt, müssen Blinde und eventuell auch Sehbehinderte auf Sprachausgaben oder Braillezeilen zurückgreifen. Hier ist also der Einsatz von Hilfsmitteln gefragt, wo dieses früher nicht nötig war.

Probleme treten auch immer dann auf, wenn Arbeitskräfte abgebaut und Kommunikation durch neue Medien vermittelt wird, z.B. bei Bankautomaten oder beim Homebanking.

Herr Warnke bemerkt weiterhin, dass der Zwang zur Mobilität viele behinderte Mitarbeiter ausgrenzt. Vorteile, die bei der Telearbeit angepriesen werden, z. B., dass mobilitätsbehinderte Menschen von zu Hause aus arbeiten können, gehen mit Nachteilen einher, wie etwa dem der fehlenden sozialern Kontakte.

Herr Prof. Dr. Wünschmann / Herr Friehoff

Herr Prof. Dr. Wünschmann und Herr Friehoff beschreiben einen positiven Trend für die Zukunft. Stichworte sind die Prozessintegration und die Standardisierung von Schnittstellen. Herr Friehoff nennt nochmals das automatisierte Haus, in dem die Geräte verschiedenster Hersteller, z. B. Kühlschrank, Heizung, CD-Player, über eine standardisierte Schnittstelle miteinander verbunden sind. Der Nutzer kann sämtliche Geräte über diese Schnittstelle bedienen. Auch Hilfsmittel können an dieser Schnittstelle ansetzen, d. h., nicht für jedes Gerät muss ein spezieller Screenreader entwickelt werden, um eine Bedienung auch für behinderte Menschen zu ermöglichen.

Herr Warnke

Herr Warnke sieht ebenfalls positive Beispiele einer Angleichung, so z. B. bei der Menüführung von Handys. Gleichzeitig hält er es aber für wichtig, dass Betroffene die Forderungen nach einem universellen Design vorantreiben.

Her Prof. Dr. Wünschmann

Herr Prof. Dr. Wünschmann bemerkt an dieser Stelle, dass die zur Zeit vorherrschenden Prinzipien des universellen Designs unbedingt auf den neuesten Stand gebracht werden müssen; z.B. fehlt derzeit die Forderung nach einer Art "Schnittstelle für alle".

Herr Nadler

Auch Herr Nadler beschreibt, dass sich durch den Wandel hin zur Digitaltechnik besonders die Handhabung vieler Produkte aus dem Bereich der Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik für Blinde und Sehbehinderte problematisiert hat.

So gab es früher in der Unterhaltungselektronik Tonbandgeräte oder Plattenspieler mit mechanischen Bedienelementen. Zwar waren die Anzeigen auch optisch, aber an mechanische Bedienelemente gekoppelt und somit fast "fühlbar".

Ein weiteres Negativbeispiel sind DVD-Player als Ersatz für CD-Player. Der Vorteil ist hier zwar, dass nur noch ein Gerät benötigt wird, aber DVD-Player sind optisch ausgelegt, d. h., viele Bedienungsvorgänge sind nur möglich, wenn man das Display des Fernsehbildschirms nutzt. Hier haben sich für Sehbehinderte oder ältere Menschen Verschlechterungen ergeben.

Ebenfalls bei Haushaltsgeräten ersetzen Folientastaturen oft den Drehregler oder mechanische Schalter. Wenn dann akustische Anzeigen fehlen, wird es für Sehbehinderte schwierig, die Geräte zu nutzen.

Allerdings bewertet Herr Nadler die Zukunftsaussichten insgesamt positiv, denn es gibt auch Chancen. Er nennt auch die Möglichkeit der Zusammenführung von Informationstechnik, Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräten im Haushalt mit Steuerung über den PC.

Entscheidend sei dabei aber die Schnittstelle. In der Diskussion wurde die kabellose Verbindung bereits gepriesen, allerdings muss beachtet werden, dass die einzige bislang existierende kabellose Schnittstelle "bluetooth" zur Zeit noch nicht die entsprechenden Verbindungen gewährleistet. Hier besteht noch ein erheblicher Entwicklungs- und Normungsbedarf. Schnittstellen müssen standardisiert sein.

Herr Nadler empfiehlt behinderten Anwendern, bei Themen wie "Vernetztes Haus", "Multimedia-Plattform" usw. in einer Frühphase gestaltend mitzuwirken, um die Zugänglichkeit sicherzustellen.

Wie können Forderungen nach Barrierefreiheit durchgesetzt werden?

Herr Warnke

Herr Warnke regt an, dass sich die Blinden- und Sehbehindertenverbände zukünftig verstärkt als Verbraucherverbände begreifen müssen - Verbraucher im Sinne der Nutzer von Hilfsmitteln.

Im Bereich der Politik / Gesetzgebung beklagt er den aktuellen Trend, Regelungen auf freiwilliger Basis zu treffen. So sollen im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes anerkannte Behindertenverbände Zielvereinbarungen mit Anbietern / Unternehmen abschließen. Herr Warnke gibt zu bedenken, dass die Verbände ihre Interessen gegenüber großen, multinationalen Unternehmen durchsetzen müssen. Welche Gegenleistungen können die Verbände diesen Firmen bieten? Zielvereinbarungen können nicht erzwungen werden.

Die Verbände müssen sich jedoch, so Herr Warnke, auf das Prinzip der Freiwilligkeit einlassen. Dieses fordert auch die Politikfähigkeit der Verbände. Sie müssen sich fragen, wie öffentlich Druck auf die Anbieter ausgeübt werden kann, damit Waschmaschinen, Bankautomaten usw. für Blinde und Sehbehinderte zugänglich gemacht werden.

Die Verbände arbeiten bereits in Normierungsausschüssen und Projekten wie INCOBS oder BIK, um diese Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Es sind auch erste positive Ansätze zu verzeichnen: so hat sich in der Fachöffentlichkeit eine Diskussion zum Thema "Barrierefreiheit" ergeben. Auch fragen Hersteller und Entwickler bereits bei den Behindertenverbänden nach, wie barrierefreie Produkte aussehen müssen. Der DIN-Entwurf "Barrierefreie Produktgestaltung" spiegelt die Erkenntnisse in der Diskussion wieder.

Herr Prof. Dr. Wünschmann

Herr Prof. Dr. Wünschmann weist darauf hin, dass zur Zeit viele Aktivitäten im Bereich der Normung laufen. Damit behinderte Menschen wirksamen Einfluss auf Standardisierungsverfahren nehmen können, hält er es für wichtig, dass die Interessenvertretungen aller Behinderungsformen kooperieren. Dies sei in der Vergangenheit auch bereits passiert.

Herr Prof. Dr. Wünschmann warnt davor, nur die Zugänglichkeit des Internets zu fokussieren. Zugänglichkeit muss auch in allen anderen Bereichen durchgesetzt werden. Im Gleichstellungsgesetz sind hierzu auch Ansätze vorhanden, die weitergeführt werden müssen.

Gesetzliche Umsetzung

Herr Morten

Auf gesetzlicher Ebene bilden das SGB IX und das Gleichstellungsgesetz zwei wichtige Meilensteine, um den Gleichstellungsgedanken, auch in Hinblick auf den barrierefreien Zugang zur Informationstechnologie, zu verankern.

Die technologische Entwicklung geht weiter, entsprechend müssen auch Normen und Standards weiterentwickelt werden. Herr Morten weist darauf hin, dass die BITV nicht geändert wird, solange es keine neuen Richtlinien des WAI gibt. Zunächst geht es auch um die praktische Umsetzung der vorhandenen Richtlinien. So ist der Umsetzungsstand von Ministerien und Behörden zur Zeit noch unterschiedlich.

Es könnte Überlegungen geben, inwieweit man mit einem Gesetzesvorschlag auf die Privatwirtschaft zugeht. Solange es aber konträre Meinungen zu einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz oder, entsprechend auf EU-Ebene, zu einer auf Artikel 13 EG-Vertrag beruhenden Richtlinie für die Belange behinderter Menschen gibt, tritt Politik hier auf der Stelle.

Politik macht jedoch nicht nur Gesetze, sondern ist auch aktiv im Bereich des Erfahrungsaustauschs, der sich vor allem auf europäischer Ebene vollzieht. Die Europäische Kommission will zur Zeit noch keine Richtlinie hervorbringen, aber der Bereich eAccessibility ist schon seit längerem in EU-Aktionsplänen verankert. So haben sich die EU-Mitgliedsstaaten schon im Jahr 2000 dazu verpflichtet, ihre öffentlich-rechtlichen Internetangebote barrierefrei zu gestalten.

In der Arbeitsgruppe eAccessibility wird auch das bereits erwähnte "Design for all" behandelt. Ziel ist es, mit der Zeit ein Curriculum für Produkt- und Softwaredesigner zu entwickeln, um den "Design for all"-Aspekt in IT-Produkten durchzusetzen. In den beteiligten Ländern gibt es nationale Kontaktzentren, in Deutschland sind dies das Frauenhofer-Institut und die Stiftung Vollmarstein.

Weiterhin stellt das 6. Forschungsrahmenprogramm erhebliche EU-Mittel für Forschung im Bereich der Informationsgesellschaft bereit. Ein deutsches Projekt hierzu ist EMBASSI (Elektronische Multimediale Bedien- und Service Assistenz - Projektträger ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt). Hier geht es im Wesentlichen um Bedienassistenz von beispielsweise Haushalts- und Infotainment-Geräten durch Steuerung per Sprachausgabe.

Auf EU-Ebene gibt es weiterhin eine Arbeitsgruppe, angesiedelt beim Telekommunikationskomitee, die sich grundsätzlich mit Gedanken über Kommunikation und Information für Behinderte beschäftigt - z.B. dem Zugang zu Notrufsystemen oder im Multimediabereich, der digitalen Breitbandtechnologie. Diese Arbeitsgruppe ist nicht geschlossen, hier sind europäische und nationale Behindertenvertretungen, Vertreter von Standardisierungsinstituten usw., vertreten.

Herr Warnke / Herr Morten

Herr Warnke ist Koordinator des BIK-Projektes, das Anbieter und Entwickler bei der Gestaltung barrierefreier Internetseiten berät. Er äußert sich positiv über die Wirkung des Gleichstellungsgesetzes, das Bundesdienststellen vorschreibt, ihr Internet-Informationsangebot barrierefrei zu gestalten. Hierdurch sehen sich auch Webagenturen oder Anbieter von Redaktionssystemen (Software zur Erstellung und Pflege von Internetseiten) "genötigt", entsprechende Angebote zu barrierenfreien Gestaltung von Webseiten vorzuhalten. Die Resonanz auf das Angebot von BIK ist riesengroß, die 6 bundesweiten Beratungsstellen stoßen ständig an ihre Kapazitätsgrenzen.

Herr Warnke und Herr Morten betonen, dass es nun wichtig ist - wie in vielen Ländern bereits geschehen -, entsprechende Landesgleichstellungsgesetze und Rechtsverordnungen zu erlassen, denn die meisten Dienstleistungen für den Bürger sind auf regionaler Ebene angesiedelt und das Bewusstsein für das Thema würde über diesen Weg vorangebracht werden. Inwieweit die Privatwirtschaft folgt, hängt auch von den jeweiligen Produkten und Dienstleistungen der einzelnen Unternehmen ab.

Herr Prof. Dr. Wünschmann

Herr Prof. Dr. Wünschmann wendet ein, dass die Diskussion vorwiegend über Arbeitsplätze im Sinne der Erwerbsarbeit geführt wird. Nicht zu vernachlässigen seien jedoch auch die Arbeitsplätze im Bildungsbereich, z. B. von Studenten. Sie fallen häufig durch gesetzliche Regelungen und finanzielle Förderung. Wichtig wäre es, wenn auch Projekte wie INCOBS den Bildungsbereich thematisieren.

Herr Warnke

Herr Warnke bemerkt, dass die historisch gewachsene Hierarchie zwischen den Kostenträgern auch durch das SGB IX nicht überwunden wurde. Wer nicht erwerbstätig ist, wird meist schlechter gestellt. Insgesamt sieht Herr Warnke das SGB IX zwar als positive Errungenschaft an, allerdings wird damit auch Verantwortung auf die Selbsthilfe abgewälzt, währenddessen im Gegenzug die notwendigen Förderprogramme fehlen.

Die Situation in den USA und das neue Betriebssystem Microsoft Longhorn

Herr Friehoff

Herr Friehoff geht auf ein Zitat der Leiterin der Microsoft Accessible Technology Group (Madelyn Bryant McIntire) ein: "Schon bald wird die Barrierefreiheit von Informationstechnologie Mainstream sein, einfach weil der Markt dies verlangt."

In den USA gibt die "Section 508" des dortigen Rehabilitationsgesetzes Standards zur Barrierefreiheit vor. Herr Friehoff erläutert, dass hiernach Regierungsstellen nur Technologien kaufen dürfen, die barrierefrei sind. So bleibt Firmen wie Microsoft nichts anderes übrig, als ihre Produkte entsprechend zu gestalten.

Herr Friehoff geht abschließend auf das zur Zeit in der Planung befindliche neue Microsoft Betriebssystem Longhorn ein. Nach seinem Kenntnisstand werden alle bisherigen Screenreader unter Longhorn nicht mehr funktionieren, es müssen gänzlich neue Produkte entwickelt werden. Schnittstellen werden vorhanden sein, die Qualität dieser Schnittstellen ist zur Zeit jedoch noch nicht zu beurteilen. Herr Friehoff geht jedoch davon aus, dass der Druck des Marktes so groß sein wird, dass Microsoft die erforderliche Qualität liefern muss. Hierzu gibt es auch intensive Kontakte zwischen Herstellern von Screenreadern und Microsoft.

Einen großen Vorteil sieht Herr Friehoff darin, dass zukünftig allen Anbietern die gleichen Quellinformationen zur Verfügung stehen. Funktionelle Unterschiede wird es damit nicht mehr geben. Zukünftig können sich die Hersteller von Screenreadern eher auf die Benutzerführung und die Art und Weise, wie Informationen bereitgestellt werden, konzentrieren. Hierin werden sich dann die Produkte unterscheiden.


Fragen aus dem Publikum

Einfache Bedienung von Hilfsmitteln

Aus dem Publikum wird darauf hingewiesen, dass ein wichtiges Kriterium bei der Gebrauchstauglichkeit von Hilfsmitteln deren einfache Bedienung ist. Bei der Entwicklung von Hilfsmitteln sollte darauf geachtet werden, was tatsächlich am Arbeitsplatz gebraucht wird. Heutzutage würde unter Barrierefreiheit verstanden, dass Blinde und Sehbehinderte alles das machen können, was auch Sehende machen. Barrierefreiheit bedeute aber vor allem auch, dass das Hilfsmittel leicht zu bedienen ist. Ansonsten fallen einfachere Arbeitsplätze für Blinde und Sehbehinderte weg.

Herr Prof. Dr. Wünschmann

Herr Prof. Dr. Wünschmann stimmt dem zu. Bei der Entwicklung praktikabler Standards und Prüfverfahren wird heutzutage das "Ergonomverfahren" verwendet. Um die Gebrauchstauglichkeit von Produkten zu testen, werden die Systemeigenschaften bewertet, die im Kontext mit einer Aufgabe und einem Nutzer eine Rolle spielen, alles andere wird ausgelassen. Dieses Verfahren müsste auch für den Bereich der "Accessibility"; gelten.

Nach Herrn Prof. Dr. Wünschmann geht man gegenwärtig davon aus, dass keine einzige Barriere existieren darf, z. B. im Zugang zu einem Dokument. Zukünftig müsste man aber Barrierefreiheit von einer speziellen Nutzungssituation bzw. von speziellen Bedürfnissen eines Nutzers abhängig machen. Absolute Barrierefreiheit lässt sich nicht verwirklichen.

Herr Nadler

Herr Nadler weist darauf hin, dass erwiesenermaßen viele Verbraucher überausgestattete Geräte bevorzugen. Anscheinend will man möglichst viel bekommen, egal ob man sämtliche Funktionen nutzt oder nicht.

Er antwortet außerdem auf die Frage, wie die Stiftung Warentest die Handhabung von Produkten testet, und welche Aussagen sich für die Nutzung durch behinderte Menschen ableiten lassen.

Zum Test der Handhabung entwickelt auch die Stiftung Warentest Aufgaben mit einem speziellem Profil, die dann durchzuführen sind. Insgesamt fließt die Handhabung von Produkten zu ca. 30% in die Gesamtbeurteilung ein. Ist die Handhabung jedoch extrem schlecht, sorgt ein Durchschlagseffekt zur allgemeinen Abwertung des Produkts.

Auf Tests der Zugänglichkeit von Produkten für Blinde und Sehbehinderte wurde bislang nur bei eher wenigen, ausgewählten Untersuchungen ein spezieller Focus gelegt. Die Stiftung Warentest richtet sich an alle Verbraucher. Wichtig ist es laut Herrn Nadler, nicht nur eine spezielle Behinderungsform zu berücksichtigen, sondern es gibt Grundforderungen, die man an die Geräte stellen muss. Dies komme dann allen Nutzern zu Gute.

Vor einiger Zeit hat die Stiftung Warentest kleine HiFi-Anlagen getestet. Hierbei wurden zwei Handhabungstests durchgeführt, einmal mit sehenden Probanden und einmal mit blinden und sehbehinderten Testpersonen. Die beiden Produkte, die von den sehgeschädigten Anwendern bevorzugt wurden, schnitten auch bei den sehenden Testern am besten ab.

Herr Nadler weist darauf hin, dass sich alle gemeinsam als Verbraucher empfinden und entsprechende Forderungen stellen sollten. Leider gibt es im Bereich Unterhaltungstechnik und Informationstechnologie nur noch wenige europäische Unternehmen. Letztendlich können Verbraucher nur über ihr Kaufverhalten die Produktentwicklung beeinflussen.

Herr Nadler bietet an, dass die Stiftung Warentest zukünftig noch häufiger die Produkte, die eingekauft und auf ihre allgemeine Handhabung hin getestet werden, INCOBS zur Verfügung stellen wird.

Einen "Link" vom Internetauftritt der Stiftung Warentest(www.stiftung-warentest.de) zu INCOBS (www.incobs.de) gibt es bereits.

Wie kann man die Forderung nach Barrierefreiheit vorantreiben?

Aus dem Publikum kommt die Frage, wie man die Forderung nach Barrierefreiheit möglichst schnell gesetzlich verankern könnte.

Herr Friehoff

Herr Friehoff hält eine Einkaufsvorschrift, entsprechend dem bereits erwähnten amerikanischen Modell, für sinnvoll.

Herr Nadler

Herr Nadler hält dagegen, dass durch die Regierungsstellen nur ein sehr kleiner Teil des Konsums getätigt wird. PCs, Notebooks usw. werden zum großen Teil im privaten Bereich gekauft. Es reicht also nicht aus, wenn die staatlichen Stellen für sich Maßnahmen beschließen. Letztendlich muss ein anderer Einfluss auf die produzierenden Firmen ausgeübt werden. Dieser Einfluss könnte vielleicht im Rahmen der sogenannten Corporate Social Responsibility, auf deutsch Unternehmensverantwortung, ausgeübt werden.

Diese Unternehmensverantwortung bezieht sich bislang hauptsächlich auf Umweltfragen, Transparenz nach außen und soziales Verhalten gegenüber Mitarbeitern.

Hier könnte man die Forderung einbringen, Produkte herzustellen, die nicht nur ihre Funktion erfüllen und sicher sind, sondern die auch für die Menschen, die sie nutzen, zugänglich sind. Diese Forderung müsste durch die Politik auch an ausländische Firmen gestellt werden.

Insgesamt besteht natürlich das Problem des Preisdrucks, die Produkte werden immer knapper kalkuliert, dieses oft auch auf Kosten der einfachen Handhabung. Einflussnahme ist über kritische Tests der Produkte durch Verbraucher- und Testorganisationen, durch Behindertenverbände und neutrale Institute möglich. Ein weiterer und sehr wichtiger Einfluss ist über das Kaufverhalten der Verbraucher gegeben. Herr Nadler empfiehlt, in Fachgeschäften die Produkte vor dem Kauf auch selbst auszuprobieren, und die Handhabung zu testen. Durch informiertes und richtiges Kaufen kann viel Positives bewirkt werden.

Zusammenfassung der Diskussion

  • Die Entwicklung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien stellt sich bislang für Blinde und Sehbehinderte widersprüchlich dar. Auf der einen Seite werden durch Computer und Internet neue Möglichkeiten wie ein verbesserter Zugriff auf Informationen geschaffen. Auf der anderen Seite sind neue Barrieren entstanden, z.B. durch die Digitalisierung und Miniaturisierung von Geräten und Bedienelementen.
  • Die Experten sehen hinsichtlich der technischen Entwicklung Chancen für die Zukunft. Sie prognostizieren die Standardisierung von Schnittstellen und die Möglichkeit zur Prozesskommunikation. Wäre dies der Fall, würden sich unter-schiedliche Geräte über eine gemeinsame Schnittstelle miteinander verbinden lassen und könnten über ein zentrales Steuerungsgerät bedient werden (Stichwort: Intelligentes Wohnen). Umsetzungsmöglichkeiten wären auch in der Arbeitswelt gegeben. Der Vorteil: Hilfsmittel könnten an einer Schnittstelle ansetzen, es würde nicht für jedes Gerät eine spezielle Anpassung benötigt.
  • Der Trend zur Mobilität und drahtlosen Kommunikation setzt sich bei den allemeinen IuK-Technologien durch. Die Hilfsmittelhersteller folgen dieser Entwicklung und bieten die entsprechenden Produkte für Blinde und Sehbehinderte an.
  • Im Bereich der Gesetzgebung soll die barrierefreie Produktgestaltung, das "Design for all", vorangetrieben werden. Es reiche nicht aus, ausschließlich auf mögliche technologische Fortschritte und die Weiterentwicklung assistiver Technologien zu setzen.
  • Im Bereich der Standardisierung zeichnet sich der Trend ab, Barrierefreiheit eher in Bezug auf die spezielle Nutzungssituation und die speziellen Bedürfnisse der Nutzer zu definieren. In Zukunft soll auch auf die einfache Bedienung von Hilfsmitteln - als ein Aspekt der Barrierefreiheit - geachtet werden.

Aufgaben / Konsequenzen für INCOBS

Weiterhin über neue Hilfsmittel informieren, Produkttests durchführen

Es kommen ständig neue Hilfsmittel auf den Markt. Die existierenden Produkte werden aktualisiert und verbessert, neue Software wird zugänglich gemacht (große Veränderung durch MS Longhorn). Die Hilfsmittelhersteller folgen allgemeinen Trends, zur Zeit: Produkte, die die Mobilität unterstützen, drahtlose Schnittstellen.

Um für die notwendige Markttransparenz zu sorgen und Anwender und Berater bei der Produktauswahl zu unterstützen, ist die Durchführung von Produkttests und die Beschreibung des Leistungsspektrums von Hilfsmitteln weiterhin sinnvoll. Das Testprogramm soll flexibel auf aktuelle Entwicklungen abgestimmt werden.

Informations- und Kommunikationstechnologien in Kooperation mit der Stiftung Warentest auf die Zugänglichkeit für Blinde und Sehbehinderte prüfen

Nicht nur Hilfsmittel, auch allgemeine Informations- und Kommunikationstechnologien bestimmen den Arbeitsalltag von Blinden und Sehbehinderten. INCOBS kann Empfehlungen geben, welche Produkte geeignet sind. Die begonnene Zusammenarbeit mit der Stiftung Warentest soll auch zukünftig weitergeführt werden. Diese Kooperation sichert, dass INCOBS Zugang zu aktuellen Produkten erhält und über die Neuigkeiten informieren kann.

Barrierefreie Produktgestaltung vorantreiben, Standardisierungsbemühungen unterstützen

INCOBS wird die Hersteller der getesteten IuK-Technologien über die Ergebnisse informieren und Beratung zur barrierefreien Produktgestaltung anbieten. Im Rahmen der Möglichkeiten wird INCOBS an Standardisierungs- bzw. Normierungsverfahren teilnehmen und entsprechendes Expertenwissen anbieten.


Vorstellung neuer Hilfsmittel und Kommunikationstechnologien

Ziel von INCOBS ist es, neutrale und gesicherte Informationen zur Leistungsfähigkeit von elektronischen Hilfsmitteln sowie zur Nutzbarkeit moderner Informations- und Kommunikationstechnologien für Blinde und Sehbehinderte bereitzustellen. Hierfür führt INCOBS vergleichende Produkttests durch.

Das Testprogramm

Für folgende Produktgruppen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt Testergebnisse auf den INCOBS-Internetseiten abrufbar:

  • Screenreader
  • Großbildsysteme
  • stationäre Braillezeilen
  • Webreader
  • Lesesprechgeräte

Mit INCOBS2 wurde das Testprogramm auf neue Entwicklungen im Technologiebereich abgestimmt.

Mobiler Arbeitsplatz

Produkte wie Laptop, PDA, usw. unterstützen und ermöglichen seit einiger Zeit die Mobilität der Arbeitnehmer. Auch bei Hilfsmitteln für Blinde und Sehbehinderte geht der Trend in Richtung mobiler Einsatz. Entsprechende Produkte, z. B. mobile Braillezeilen und PDAs mit Screenreader, werden in das Testprogramm von INCOBS2 aufgenommen.

Tests herkömmlicher Informations- und Kommunikationstechnologien

Im Rahmen von INCOBS2 sollen nicht nur Hilfsmittel, sondern generell berufsrelevante, interaktive Medien auf ihre Nutzbarkeit für blinde und sehbehinderte Menschen hin geprüft werden. Denn die Arbeitsplatzausstattung von Blinden und Sehbehinderten wird nicht allein durch Hilfsmittel bestimmt, wichtig sind heute - und das besonders am mobilen Arbeitsplatz - auch herkömmliche Informations- und Kommunikationstechnologien, z. B. Mobiltelefone, Diktiergeräte.

Für INCOBS2 sind somit folgende Produkttests geplant:

  • im Bereich der Computerhilfsmittel:
    • Bildschirmlesegeräte
    • Braillezeilen, mobil
    • Braillezeilen, stationär
    • Großbildsysteme
    • Lesesprechgeräte
    • PDAs mit SR / Notizgeräte
    • Screenreader
    • Webreader
  • im Bereich allgemeine IuK-Technologien:
    • Diktiergeräte
    • Mobiltelefone
    • Spracherkennungssoftware

Das Testverfahren

Von der Idee, eine Produktgruppe zu überprüfen, bis zur Veröffentlichung der Testergebnisse ist es ein weiter Weg. Das entsprechende INCOBS-Verfahren ist in sechs Stufen unterteilt:

  1. Ermittlung des Informationsbedarfs und Marktanalysen
    Vor dem eigentlichen Test steht die Bedarfsanalyse: Wo gibt es im Umgang mit PC-Hilfsmitteln und berufsrelevanter Informationstechnologie Probleme? Zu welchen Produkten besteht bei Betroffenen und Beratern besonderer Informationsbedarf? Wo ist die Situation unübersichtlich, was leisten neue Produkte tatsächlich?
    In Zusammenarbeit mit Betroffenen und Experten werden Informationsbedarfe identifiziert und Marktrecherchen durchgeführt: dann erst wird entschieden, ob ein Test notwendig ist. Erster Schritt für den eigentlichen Test ist dann eine Übersicht über das aktuelle Marktangebot. Einzelne Produkte, beispielsweise Bildschirmlesegeräte, werden anhand nutzerrelevanter Kriterien beschrieben, die im Zusammenhang mit der Analyse des Informationsbedarfs gewonnen werden. Die Marktanalyse führt dann eventuell auch zu einer genaueren Abgrenzung von Produkten, die vergleichbar sind. Zum Beispiel werden im Test ausschließlich portable oder ausschließlich stationäre Geräte gegenübergestellt.
  2. Entwicklung des Anforderungsprofils
    Im nächsten Schritt wird dann formuliert, welche Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit der zu testenden Produktgruppe zu stellen sind. Zielperspektive bei der Kriterienentwicklung sind Nutzer- und Arbeitsplatzanforderungen: was sollte ein Produkt bieten, damit sehbehinderte oder blinde Nutzer damit ihre Arbeitsplatzaufgaben effektiv und unter akzeptablen Belastungen durchführen können? Die aus dieser Fragestellung abgeleiteten Anforderungskriterien beziehen sich in erster Linie auf die Funktionalität und Bedienbarkeit/Ergonomie von Soft- und Hardware. Das Anforderungsprofil ist ein wichtiger Baustein für das Testverfahren. Die Entwicklung des Anforderungsprofils erfolgt unter Einbeziehung von blinden oder sehbehinderten Anwendern und Experten aus unterschiedlichen Bereichen. Hierzu werden Experteninterviews, Gruppendiskussion, Arbeitsplatzanalysen und die INCOBS-Mailingliste eingesetzt.
  3. Entwicklung der Testinstrumente
    Ziel ist es nun, aus dem Anforderungsprofil Indikatoren / Messgrößen abzuleiten, die bestimmen, ob und in welchem Maße ein Produkt den festgelegten Anforderungen entspricht. Hierzu werden die Kriterien des Anforderungskatalogs operationalisiert, d. h., es werden entsprechende Testfragen, zum Teil mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten, abgeleitet.
  4. Testphase
    Für den Bereich der PC-Hilfsmittel stellen die Produktanbieter INCOBS die Testkandidaten zur Verfügung. Bei der allgemeinen IuK-Technologie wird mit der Stiftung Warentest zusammengearbeitet, die hier auch die zu testenden Produkte bereitstellt. Unter standardisierten Bedingungen werden die zu prüfenden Produkte nun dem praktischen Test unterzogen. Sämtliche Fragen / Aufgaben des Erhebungsinstrumentes werden an allen Testprodukten abgearbeitet, um vergleichbare Ergebnisse zu erhalten. Zum Testteam gehören immer auch blinde oder sehbehinderte Experten.
  5. Auswertung
    Hier geht es darum, die gewonnen Daten so aufzubereiten, dass sie den unterschiedlichen Informationsbedürfen der INCOBS-Nutzer - der Laien bis hin zu den Experten - entsprechen. Vor der Veröffentlichung erhalten die Hilfsmittelanbieter Gelegenheit, eventuelle Richtigstellungen vorzunehmen.
  6. Ergebnisveröffentlichung
    Die Ergebnisse der vergleichenden Produkttests werden auf den INCOBS-Internetseiten veröffentlicht. Durch die Möglichkeit, sogenannte Detailtabellen einzusehen, erhält der interessierte Nutzer präzise Informationen über die im Einzelnen getesteten Gebrauchstauglichkeitskriterien und die jeweiligen Ergebnisse.

Neue Test-Strategien bei INCOBS2

Das Testverfahren beschleunigen

In der Vergangenheit erwies sich die Durchführung von Hilfsmitteltests als sehr zeitintensiv. Es dauerte meist mehrere Monate, bis Ergebnisse veröffentlicht werden konnten. Angesichts rascher Produktzyklen und kurzer Aktualisierungsintervalle gilt zukünftig, das Testverfahren zu beschleunigen. Hierzu wurden verschiedene Konzepte entwickelt: So sollen z.B. bei Tests neuer Produktgruppen Vorerhebungen mit den wichtigsten Daten veröffentlicht werden. Auch ist zu überlegen, ob immer die gesamte Funktionalität eines Produktes, was sehr zeitaufwendig ist, erfasst werden muss, oder ob es nicht sinnvoll ist, bestimmte Aspekte herauszugreifen, z.B. Screenreader unter Excel.

Ergebnisse nutzerfreundlicher präsentieren

Auf eine abschließende Zusammenfassung der Testergebnisse oder auf eine bewertende Ergebnisdarstellung hat INCOBS bislang verzichtet. Der Hintergrund hierfür ist, dass die Auswahl des geeigneten Hilfsmittels immer ein individueller Entscheidungsprozess sein wird. Andererseits wird aber ständig die Forderung an INCOBS herangetragen, die Ergebnisse anschaulicher und einfacher verständlich darzustellen.

Vorgesehen ist daher, dort, wo eine zusammenfassende Bewertung sinnvoll scheint, eine Beurteilung, z.B. in Form von Noten, zu vergeben. Möglich ist dies in erster Linie bei Tests allgemeiner IuK-Technologien, wie z.B. bei Handys, Diktiergeräten, usw.

Auch bei Hilfsmitteltests möchten wir zukünftig versuchen, eine bessere Zusammenfassung der Ergebnisse zu gewährleisten, z. B. in Form von Kurzkommentaren zu jedem Produkt.

Diskussion

In der anschließenden Diskussion kristallisiert sich vor allem heraus, wie wichtig die Berücksichtigung der Heterogenität der Zielgruppe Blinde und Sehbehinderte in den Tests ist. So muss bei der Ermittlung von Testergebnissen immer auch beachtet werden, dass es sehr unterschiedliche Anwender gib, mit ungleichen Bedienvorlieben, unterschiedlichem Wissensstand und Produktanforderungen. Frau Freudenfeld bestätigt, dass bei der Testdurchführung wie auch bei der Ergebnisdarstellung diese "Anwenderkomponente" berücksichtigt werden muss, um so individuellen Nutzeranforderungen Rechnung zu tragen. INCOBS bemüht sich auch in Zukunft, diesen Aspekt in die Testentwicklung einzubeziehen.

Test "Spracherkennungssoftware"

Spracherkennungssoftware ermöglicht die Texteingabe in den Computer über die Sprache, d. h., der Anwender diktiert einen Text in ein Mikrofon, der dann auf dem Bildschirm erscheint. Auch die Steuerung des Computers ist auf diese Weise möglich.

Spracherkennungssoftware soll das computergestützte Arbeiten beschleunigen. Sie eignet sich zudem für Anwender, die eine Maus oder Tastatur aufgrund motorischer Einschränkungen nicht bedienen können. Auch für Sehbehinderte oder Späterblindete, die Probleme mit der Tastatureingabe haben, könnte die Software hilfreich sein.

INCOBS hat die zwei marktführenden Spracherkennungssoftware-Varianten, "ScanSoft - Dragon Naturally Speaking" und "IBM ViaVoice", auf ihre Zugänglichkeit für Blinde und Sehbehinderte hin getestet. Der Test basiert auf zwei Komponenten:

  • Zum einen wird auf der Basis geltender Richtlinien eine Checklisten-Prüfung durchgeführt (Testteil 1). Die Checkliste setzt sich zusammen aus relevanten Auszügen der BITV-Richtlinien, der "FIT-Anforderungen an zugängliche grafische Benutzeroberflächen" sowie dem "Testing Guide for Software Accessibility" der Firma IBM.
  • Zusätzlich wird die Spracherkennungssoftware in einem praktischen Test auf ihre Gebrauchstauglichkeit für blinde Anwender hin getestet (Testteil 2).

Testergebnisse:

Beide getesteten Produkte sind für blinde und sehbehinderte Anwender nur eingeschränkt zugänglich. Für Blinde und Sehbehinderte, die gut mit ihren Hilfsmitteln zurechtkommen und für die eine Tastaturbedienung kein Problem ist, stellen die getesteten Produkte keine Erleichterung dar. Die Texteingabe mit der Tastatur und ihren herkömmlichen Hilfsmitteln wird für sie in der Regel effektiver sein.

Trotz Zugänglichkeitsmängeln ist Spracherkennungssoftware empfehlenswert für Körperbehinderte, die keine Tastatur bedienen können bzw. für sehbehinderte oder blinde Menschen, die nicht "blind" tippen können, und für Personen, für die eine mündliche Spracheingabe eine erhebliche Arbeitsbeschleunigung bedeuten würde.

Diskussion:

In der anschließenden Diskussion wird die Einbettung der Testergebnisse in den Gesamtzusammenhang "Alternativen zur Tastatureingabe" thematisiert.

Für körperbehinderte Menschen mit erheblichen Einschränkungen bei der Tastaturnutzung, die sich als die vorrangige Zielgruppe von Spracherkennungssoftware erwiesen haben, sind auch andere Hilfsmittel für die PC-Arbeit geeignet. Bei der Darstellung der Testergebnisse sollte daher auch auf andere Alternativen zur Tastaturbedienung verwiesen werden, Ein anwesender Hilfsmittelanbieter, der Spracherkennungssoftware auch selbst vertreibt, weist des Weiteren auf die Notwendigkeit intensiver Schulungen der Anwender hin, die Spracherkennungssoftware nutzen möchten. Bei Doppelbehinderungen gäbe es hierzu auch die Kostenübernahme durch Kostenträger.

Test "Mobile Braillezeilen"

Auf den Hilfsmittelmessen und -Ausstellungen der letzten zwei Jahre ist der Trend zu Hilfsmitteln für Blinde und Sehbehinderte für den mobilen Einsatz erkennbar. Dieses hat INCOBS zum Anlass genommen, Anfang des Jahres einen Test "mobile Braillezeilen", also Zeilen mit 40 Braille-Lesemodulen, zu starten. Zur Zeit befinden wir uns gerade in der praktischen Testphase, 3 von insgesamt 10 Produkten sind bereits getestet.

Anforderungsprofil

Die Ausgangsbasis für den Test Mobile Braillezeilen" ist das bereits mit stationären Braillezeilen durchgeführte Prüfverfahren. An das hier vorliegende Anforderungsprofil konnte angeknüpft werden. Dessen Hauptkategorien Funktionalität, Bedienbarkeit und Ergonomie wurden um die Kategorie "Mobilität" erweitert, die unter anderem folgende Kriterien umfasst:

  • Möglichst lange Laufzeit des Akkus
  • Abstellfläche für Notebooks
  • Normale Tastatur anschließbar
  • Transportmöglichkeiten / Tragetasche / Rucksack
  • Zeile unabhängig vom Notebook zu betreiben

Das Anforderungsprofile "Mobile Braillezeilen" basieren auf den Erfahrungen und Berichten von Anwendern im täglichen Umgang mit mobilen Braillezeilen für den Arbeitsbereich und auch für die persönliche Nutzung. Hinzu kommt die Auswertung zahlreicher Anwenderanfragen zu mobilen Braillezeilen sowie die Auswertung einschlägiger Beiträge in verschiedenen Mailinglisten. Diese neu in das Anforderungsprofil aufgenommenen Kriterien wurden operationalisiert, d. h., es werden entsprechende Testfragen für den praktischen Produkttest abgeleitet.

Testphase

Die Hilfsmittelanbieter stellen dem INCOBS-Projekt die Braillezeilen für Testzwecke unentgeltlich zur Verfügung. Die Tests werden an einem handelsüblichen Notebook mit dem vom Anbieter empfohlenen Screenreader durchgeführt.. Die Tests werden gemeinsam von einem blinden und einem sehenden Experten durchgeführt.

Auswertung und Ergebnisdarstellung

Bei der Auswertung des Tests "Mobile Braillezeilen" wird, wie bei anderen Hilfsmitteltests auch, auf eine Benotung bzw. ein Gesamturteil verzichtet. Welches Produkt geeignet ist, hängt zu sehr von der Arbeitsweise, den Vorerfahrungen und Voraussetzungen des Nutzers sowie von den Anforderungen des Arbeitsplatzes ab, als das eine benotende Ergebnisdarstellung angemessen wäre.

Das schließt jedoch eine Beurteilung der einzelnen Braillezeilen an Hand der Kategorien Bedienbarkeit, Ergonomie, Funktionalität und Mobilität nicht grundsätzlich aus. Vorgesehen sind Hinweise darauf, ob die Testkandidaten für bestimmte Nutzeranforderungen oder Anwendungssituationen jeweils besser oder schlechter geeignet sind. Diese Beurteilungen sollen als Einzelbeschreibungen der Testkandidaten erfolgen und können auch für eine, die Auswahl des geeigneten Produktes unterstützende, "Checkliste Mobile Braillezeilen" genutzt werden.

Diesen detaillierten Ergebnissen als "Testeinstieg" vorangestellt ist ein Kurzkommentar zu jedem Modell, der prägnant über den jeweiligen Testkandidaten informiert und wichtige Features hervorhebt.

Diskussion

Im Plenum werden die Relevanz einzelner Anforderungskriterien und Aspekte der darauf aufsetzenden Messverfahren diskutiert. Zur Messbarkeit des Einflusses mobiler Braillezeilen auf den Stromverbrauch von Notebooks wird der vergleichende Test an ein und demselben Notebook angeregt, der Unterschiede des Stromverbrauchs der Zeilen deutlich machen könnte. Dieser Vorschlag ist in dem laufenden Braillezeilentest bereits umgesetzt.

Weiter werden im aktuellen Test nicht berücksichtigte Produktanforderungen (z. B. die Kompatibilität mit verschiedenen Betriebssystemen oder von Braillezeilen-Treibern) für den Braillezeilentest vorgeschlagen. INCOBS weist darauf hin, dass Hinweise zu Anforderungskriterien und den eigentlichen Testverfahren willkommen sind: die INCOBS-Mailingliste steht Interessierten aus dem Plenum offen.

Vorschläge zu dem Testverfahren "Mobile Braillezeilen" werden von INCOBS auf Umsetzbarkeit und Relevanz geprüft und gegebenenfalls bei weiteren Testreihen zu mobilen Braillezeilen berücksichtigt.

Test "Mobiltelefone"

Mobiltelefone sind heute für viele Arbeitnehmer aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Und auch wenn es bereits Lösungsansätze für sprechende Handys gibt, spielt das ganz normale Mobiltelefon für Blinde und Sehbehinderte allein schon aufgrund des Kostenfaktors von Zusatzsoftware eine große Rolle.

INCOBS prüft daher in Kooperation mit der Stiftung Warentest die Nutzbarkeit von 7 aktuell verfügbaren, handelsüblichen Mobiltelefonen für Blinde und Sehbehinderte.

Testverfahren

Da die Nutzeranforderungen von Blinden und Sehbehinderten unterschiedlich sind, werden zwei separate Tests durchgeführt: Einer für die Nutzergruppe der Sehbehinderten und einer für die Nutzergruppe der Blinden. So enthält z.B. das Anforderungsprofil für sehbehinderte Nutzer ein Kapitel zur Ausführung des Displays, das bei blinden Nutzern natürlich nicht bewertet werden muss.

Bei beiden Tests wird die gleiche Struktur verfolgt:

  1. Expertenprüfung objektiv zu erhebender Merkmale (z. B. das Vorhandensein akustischer Signale)
  2. Praktische Tests mit betroffenen Anwendern. Diese müssen verschiedene Aufgaben mit dem Handy durchführen und anschließend Beurteilungen zur Nutzbarkeit des Mobiltelefons abgeben.

Alle erhobenen Merkmale und abgegebenen Beurteilungen werden gesammelt, in Kategorien sortiert und gewichtet.

Bewertung

Viele Nutzer der INCOBS-Testergebnisse wünschen sich eine prägnant Darstellung der Testergebnisse. Vorgeschlagen werden häufig Notenvergaben, wie sie z. B. von der Stiftung Warentest bekannt sind. Auf solche Anregungen reagierend, wurde beim Mobiltelefon-Test eine neue Form der Bewertung vorgenommen. Den Testkriterien werden jeweils erreichbare Punkte zugeordnet, aus denen sich Teilnoten bilden lassen. Im Unterschied zum Schulnotensystem soll bei dem Mobiltelefon-Test die Note 1,0 - im Schulnotensystem "sehr gut" - nicht zu erreichen sein. Sie wäre gleichzusetzen mit "vollständig zugänglich" bzw. "barrierefrei". Produkte wie Handys, die für einen allgemeinen Markt entwickelt wurden, sind aber nicht barrierefrei. Wenn also die Höchstpunktzahl im INCOBS-Test erreicht wird, bedeutet das Ergebnis allerhöchstens "gut zugänglich". Weiterhin sind folgende Bewertungsmöglichkeiten vorgesehen: "eingeschränkt zugänglich", "schlecht zugänglich" und "sehr schlecht zugänglich".

Diskutiert wird im Projekt derzeit, ob auch eine Produktgesamtnote vergeben werden sollte. Hierfür würden die einzelnen Testkriterien nach ihrer Bedeutung für eine Gesamtbeurteilung gewichtet, um dann aus den Teilnoten eine entsprechende Produktbenotung zu bilden. Ein entsprechender Vorschlag wird von Frau Freudenfeld vorgestellt.

Die Ergebnisse:

Die blinden Tester bewerteten die Handys insgesamt besser als die sehbehinderten Probanden. Gründe hierfür sind:

  • sehbehinderte Anwender möchten ihren Sehrest zur Erkennung der Tastenbeschriftung und des Displays ausnutzen, beurteilten aber beides meist als unzureichend,
  • blinde Nutzer sind in der Regel geübter in der taktilen Erkennung der Tasten.
  • Im Test für sehbehinderte Nutzer erreicht kein Handy ein "gut zugänglich" und nur bei drei Handys ist es möglich, eine eingeschränkte Empfehlung abzugeben.
  • Im Test für die Nutzergruppe der Blinden ergibt sich ein breit gestreutes Notenbild, es können immerhin vier Empfehlungen abgegeben werden.

Veröffentlichung

Die detaillierten Ergebnisse werden demnächst auf den INCOBS-Internetseiten veröffentlicht. Es wird einen Testeinstieg mit Kurzkommentaren zu jedem Modell, der Gesamtnote und den Ergebnissen einzelner Kategorien wie Tastatur, Menüführung usw. geben, damit auf den ersten Blick eine Gesamteinschätzung möglich ist. In tieferen Ebenen können durch detaillierte Tabellen alle erhobenen Merkmale und Beurteilungen abgefragt werden.

Diskussion: Beurteilung / Notenvergabe

Ein wichtiger Aspekt der anschließenden Diskussion ist die Notenvergabe. Auf Widerspruch stößt der INCOBS-Vorschlag, beim Mobiltelefon-Test nicht nur Teilnoten zu den verschiedenen Testkriterien, sondern auch eine Produktgesamtnote zu vergeben. Die Nutzeranforderungen seien zu heterogen, als dass eine Gesamtbeurteilung gerechtfertigt sei.

Anregungen aus dem Publikum gibt es auch dazu, welche Noten bei Mobiltelefonen überhaupt vergeben werden sollen. So wird vorgeschlagen, bei der Prüfung eines Telefons ohne Sprachführung für blinde Anwender nicht nur auf die Note "sehr gut", sondern auch auf die Note "gut" zu verzichten.

Zugleich wird aber auch darauf hingewiesen, dass bei der Entscheidung von Bewertungsmodellen darauf zu achten ist, dass diese dem Leser dabei helfen sollen, einen vergleichenden Eindruck zu erhalten.

Das INCOBS-Team sagt zu, die eingebrachten Anregungen und Einwände zum Thema Beurteilung / Notenvergabe bei der Veröffentlichung der Testergebnisse zu berücksichtigen.

Weitere Fragen des Publikums bezogen sich auf die Auswahl der Testkandidaten, also: wie wählt INCOBS die Handys aus, die getestet werden sollen?

Frau Freudenfeld erläutert, dass die Testauswahl in Kooperation mit der Stiftung Warentest erfolgt. Die Stiftung Warentest testet dreimal jährlich neu auf den Markt kommende Handys. Aus diesem Produktspektrum werden für die INCOBS-Tests Telefone ausgewählt, die für einen Test in Frage kommen. Der Test zeigt dann, ob tatsächlich eine Empfehlung abgegeben werden kann.

Ziel ist es, durch die Testpartnerschaft mit der Stiftung Warentest kontinuierlich aktuelle Mobiltelefone auf ihre Zugänglichkeit zu prüfen. Es sollen "Hitlisten" geeigneter Produkte angelegt werden, die blinden- und sehbehinderten Nutzern einen Überblick über das umfangreiche und sich rasch verändernde Produktspektrum bieten.

Fachbeirat zur Unterstützung der Produkttests

Herr Nadler von der Stiftung Warentest regt an, einen Fachbeirat zu konstituieren, dessen ausgewählte Mitglieder über Fragen wie Produktauswahl, Testkriterien und Ergebnisgewichtungen diskutieren und das Projekt unterstützen. Herr Lilienthal weist darauf hin, dass die Einbeziehung von Expertenwissen bisher über die INCOBS-Mailingliste erfolgte, der ca. 70 Experten angehören. Mit der Einrichtung einer Mailingliste wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass sich gemeinsame Treffen auf Grund von Terminproblemen als sehr schwer zu realisieren erwiesen haben. Diese INCOBS-Mailingliste soll auch zukünftig genutzt werden, um wichtige Punkte und Fragestellungen zur Produktauswahl, Testverfahren und Ergebnisdarstellung zu diskutieren.


Die Dienstleistung der Anbieter als wichtigstes Kriterium der Hilfsmittelauswahl

Günther Sührer (Bundesagentur für Arbeit)

Einführung

Bei der Auswahl von Hilfsmitteln spielt neben der Produktqualität auch die Dienstleistungsqualität der Anbieter eine wichtige Rolle. Herr Sührer von der Bundesagentur für Arbeit berichtet, worauf die technischen Berater bei der Hilfsmittelversorgung besonderen Wert legen.

Herr Sührer ist beratender Ingenieur bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und Vorgesetzter von bundesweit 98 technischen Beratern.

Zusammenfassung des Referats von Herrn Sührer

Bei der Auswahl geeigneter Hilfsmittel für den Arbeitsplatz ist neben der Qualität oder Funktionalität des Produkts vor allem die Forderung des Arbeitgebers an den Hilfsmittelhersteller relevant: "Sichere die Anlage und baue einen schnellen sicheren Service auf." Die Dienstleistung des Anbieters steht damit im Vordergrund, er muss dafür einstehen, dass im Unternehmen keine Probleme oder Ausfallzeiten durch die Integration von Hilfsmitteln in das Firmen-Netzwerk entstehen.

Herr Sührer führt dies vor dem Hintergrund der Erfahrungen der beratenden Ingenieure genauer aus. Bei der Entscheidung für eine Hilfsmittelausstattung bzw. für einen Anbieter befinden sich die technischen Berater im Spannungsfeld unterschiedlicher Anforderungen.

Arbeitgeber

Die Arbeitgeber, die mit den technischen Beratern Kontakt aufnehmen, stehen vor der Frage, ob ein neuer behinderter Mitarbeiter eingestellt bzw. ein Mitarbeiter mit auftretender Behinderung behalten oder entlassen wird.

In der letzten Zeit wird auf Seiten der beratenden Ingenieure immer deutlicher erlebt, dass die Arbeitgeber sich nicht für die Details der Hilfsmittelausstattung und mögliche Lösungsansätze interessieren. Sie erwarten, dass ohne Reibungsverluste ein funktionierender Arbeitsplatz eingerichtet wird, an dem dann die entsprechenden Tätigkeiten durchgeführt werden können. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Einbindung von Hilfsmitteln nicht immer unproblematisch verlaufen ist und den Unternehmen teilweise Ausfallzeiten des gesamten Netzwerkes "beschert" hat. Für den Arbeitgeber ist es deshalb wichtig, dass der Anbieter Garantie gewährleistet und schnell und zuverlässig vor Ort die notwendigen Reparaturen/Anpassungen durchführt.

Der behinderte Arbeitnehmer

Die Arbeitnehmer mit Behinderung haben unterschiedliche Vorkenntnisse über Hilfsmittellösungen am Arbeitsplatz. Die technischen Berater analysieren gemeinsam mit dem Arbeitnehmer die gesundheitliche Einschränkung. Verläuft eine Erkrankung beispielsweise progressiv? Dann muss bei der Hilfsmittelausstattung evtl. ein Schritt weiter gedacht werden, z.B. bei Sehbehinderten über die Verwendung einer Braillezeile. Dies sind auch Anforderungen, die die Hilfsmittelanbieter berücksichtigen müssen. Letztendlich soll eine Arbeitsplatzlösung gefunden werden, die sowohl den Bedürfnissen des Arbeitnehmers als auch den Anforderungen des Arbeitsplatzes entspricht und die von den Kostenträgern auch finanziell vertreten werden kann.

Die technische Ausstattung am Arbeitsplatz

Die Technologie am Arbeitsplatz entwickelt sich kontinuierlich weiter. Durch die neuen technischen Möglichkeiten werden auch von den Arbeitnehmern breitere Einsatzspektren gefordert. Frühere Nischenarbeitsplätze für Sehbehinderte, z.B. Tätigkeit als Telefonist/in, verschwinden mit der Zeit. An ihre Stelle treten Arbeitsplätze mit sehr viel komplexeren Aufgabengebieten. Die heutigen Hilfsmittel ermöglichen generell eine breite Anwendungspalette. Durch die schnelle technologische Entwicklung treten aber neue Probleme auf: der ständige Anpassungsbedarf der Hilfsmittelausstattung und die notwendige Qualifizierung der Anwender. "Wer zu Beginn seiner Ausbildung gelernt hat, mit einem bestimmten Hilfsmittel umzugehen, wird gegen Ende seiner Ausbildung bereits mit einer neuen Technologie konfrontiert."

Probleme bei der Hilfsmittelausstattung am Arbeitsplatz ergeben sich weiterhin durch

  • unterschiedliche Betriebssysteme in den Firmen (Microsoft, SAP, usw.)
  • firmeneigene Betriebssysteme
  • spezielle, z. T. firmeneigene Datenschutzsysteme

Die Anpassung der Hilfsmittelausstattung an die jeweiligen Voraussetzungen stellt die Hilfsmittelanbieter häufig vor große Herausforderungen. Die Einbindung in das Firmennetz dauert in manchen Fällen mehrere Wochen.

Kostenträger / Kosten

Herr Sührer beobachtet eine immer härter werdende Bewilligungspraxis der Kostenträger. Diese sei insofern auch berechtigt, da die fortschreitende technologische Entwicklung immer wieder neue Hilfsmittel-Anpassungen verlangt. Technisch sind diese zwar umsetzbar, die neuen Produkte sind aufgrund langer Entwicklungszeiten jedoch kostenintensiv.

Hilfsmittelanbieter / Dienstleistungsqualität

Die technischen Berater sind keine Experten, wenn es um spezielle Anpassung und Detailkenntnisse der Hilfsmitteltechnologie geht. Sie kommen in ihrer Arbeit mit ca. 80 bis 90 Hilfsmittelbranchen in Berührung. Entsprechend müssen die beratenden Ingenieure auf die jeweiligen Anbieter zurückgreifen. Die Auswahl eines Anbieters basiert meist auf der Erfahrung: wer hat in der Vergangenheit die geforderte Produkt- und Dienstleistungsqualität eingehalten? Wer hat Hilfsmittel-Anpassungen und -Einweisungen erfolgreich durchgeführt, wer hat Garantiegewährleistungen eingehalten und schnellen Support geboten?

PC- und Hilfsmittelschulung

Teil der Service-Leistungen der Anbieter sind die Einweisung in das Hilfsmittel bzw. PC-Schulungen am Arbeitsplatz. Herr Sührer weist darauf hin, dass im Schulungsbereich Angebote mit Kostenspannen von 300 Euro bis 1500 Euro pro Tag vorgelegt werden. Für die technischen Berater und die Kostenträger ist jedoch nicht erkennbar, welche Summen berechtigt sind. Hier wäre mehr Transparenz und eine gewisse Standardisierung wünschenswert. Sinnvoll wäre, laut Herr Sührer, auch eine zentrale Testfunktion, die die Leistung der Schulungsanbieter überprüft.

Aufgrund des Stellenwertes, die die Dienstleistung eines Anbieters einnimmt, schlägt Herr Sührer INCOBS vor, neben Produkttests auch den Servicebereich der Hilfsmittelanbieter in das Testprogramm einzubeziehen. Letztlich geht es nicht darum, was ein einzelnes Hilfsmittel leistet. Für die technischen Berater der Bundesagentur steht vielmehr im Vordergrund, ob der Hilfsmittelanbieter in der Lage ist, eine verlässliche, effektive und sichere Arbeitsplatzausstattung zu realisieren.

Zusammenfassung der Abschlussdiskussion

Schulungen

Ein Schulungsanbieter aus dem Publikum führt aus, dass häufig vor der Schulung unklar ist, welche genauen Grundkenntnisse der Schüler besitzt und wo genau die Schulung ansetzen muss. Es wird z. B. eine Schulung in Word angefordert, der Schüler muss aber zunächst lernen, die richtigen Tasten zu finden. Herr Sührer bemerkt, dass es bezüglich der Finanzierung von Schulungen eine Schnittstellenproblematik gibt. An sich werden nur sogenannte Mehraufwendungen, "die eigentliche Anwendung des Projekts im Umfeld", durch Fördermittel finanziert. Wird bekannt, dass bei dem Anwender Grundlagendefizite bestehen, müssen andere Fördergelder eingeholt werden.

Reformbedarf bei Reha- und Hilfsmittelkatalogen?

Es scheint eine Kluft zwischen dem Reha- bzw. Hilfsmittel-Katalog (was darf bewilligt werden?) und den Praxisanforderungen zu bestehen. Die Anforderungen am Arbeitsplatz haben sich geändert. Heute müssen umfangreiche Aufgaben erledigt werden, die häufig eine kostenintensive Hilfsmittelausstattung erfordern. Herr Sührer sieht Reformbedarf bei den Bewilligungskriterien, allerdings sind zur Zeit keine politischen Lösungsansätze in Sicht.

Transparenz des Marktes

Diskutiert wird, dass der Markt der Hilfsmittel- und Schulungsanbieter zur Zeit durch neue, kleine und zum Teil auch weniger qualifizierte Anbieter diffuser wird. Diese würden ihre Leistungen billiger als die etablierten Firmen anbieten und wären deshalb für die Kostenträger interessant. Ob die Hilfsmitteleinbindung tatsächlich funktioniert, wird erst nachträglich oder überhaupt nicht bekannt, da viele Anwender sich scheuen, von den Problemen zu berichten. Gefordert wird, dass für die Bereiche Schulung und Dienstleistung nachprüfbare Kriterien geschaffen werden, anhand derer festgestellt werden kann, was die jeweilige Leistung tatsächlich wert ist.

Aufgaben für INCOBS

INCOBS hatte bereits in der Vergangenheit in Erwägung gezogen, Dienstleistungen der Anbieter in das Testprogramm aufzunehmen. Dienstleistungstests sind jedoch sehr aufwendig und kostenintensiv und bleiben immer fragmentarisch, d.h. es sind immer nur Stichproben möglich.

Vorgeschlagen wird, dass INCOBS quantifizierbare Daten im Sinne eines "total cost of ownership" erheben könnte: Was kostet wirklich die Einrichtung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes, inklusive Garantiebedingungen, Support, Updates und Schulungen. Diese Zahlen müssten bei den Kostenträgern vorliegen und würden eine Übersicht über die tatsächlichen Hilfsmittelkosten ermöglichen.


Podiumsdiskussion: Elektronische Hilfsmittel - große Auswahl, wenig Beratung?

Teilnehmer: Frau Schulze, Berufsförderungswerk Halle, Leiterin des Bereichs Elektronische Hilfsmittel, Herr Prof. Dr. med. Klaus Rohrschneider, Leitung Sektion Ophthalmologische Rehabilitation, Universitätsklinik Heidelberg, Herr Sührer, Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Leiter des Technischen Beratungsdienstes in der Bundesagentur für Arbeit, Herr Gerd Schwesig, Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen, Hannover, Hilfsmittelberater und Mitglied im Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband der Hilfsmittelberater, Frau Hannelore Loskill, BAGH, Düsseldorf, Rechenzentrum der Universität Düsseldorf

Moderation: Thomas Lilienthal, DIAS GmbH, Hamburg

Einleitung

Wesentlich für eine gelungene Hilfsmittelversorgung ist - neben der Qualität von Produkt und dazugehörenden Dienstleistungen - die unterstützende Beratung bei der Auswahl des Hilfsmittels. Die Podiumsdiskussion verfolgt unterschiedliche Ziele. Es soll Licht ins Dunkel der gegenwärtigen Beratungssituation gebracht werden (wer macht da eigentlich was?) und Eckpunkte für ein den Anforderungen genügendes Beratungsangebot sollen herausgearbeitet werden. Abschließend werden konkrete Aufgaben für zukünftige INCOBS-Aktivitäten herausgearbeitet.

Beratungsangebote zu optischen und elektronischen Hilfsmitteln: ein Überblick

Die Beratungslandschaft in Deutschland für blinde und sehbehinderte Menschen zu optischen und elektronischen Hilfsmitteln für die PC-Nutzung ist durch das gegliederte Rehabilitationssystem, aber auch durch das Engagement der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe geprägt.

Stellvertretend berichten Herr Prof. Dr. Rohrschneider, Frau Schulze und Herr Sührer über das Beratungsangebot von Augenkliniken, von Berufsförderungs- und Berufsbildungswerken, der Bundesagentur für Arbeit und der Integrationsämter.

Über das Beratungsangebot der Blinden und Sehbehindertenselbsthilfe und die speziellen Angebote für Studienanfänger informieren Herr Schwesig und Frau Loskill.

Herr Prof. Dr. Rohrschneider berichtet über das Beratungsangebot der Sektion Ophthalmologische Rehabilitation an der Universitätsaugenklinik Heidelberg. Dieses Beratungsangebot steht grundsätzlich jedem offen. Jährlich besuchen dort ca. 2000 Patienten die Sprechstunde. Die Alterstruktur hier ist entgegen der Gruppe der sehbehinderten Menschen in der BRD (über 75% der Patienten sind 75 Jahre und älter) relativ gleichmäßig über alle Altersstufen verteilt, da zum Beratungsangebot u.a. auch die Diagnostik bei Kindern und die Beratung bei der Schul- und Berufswahl gehört.

Für alle Patientengruppen wird in Heidelberg eine Hilfsmittelberatung angeboten. Wie Herr Prof. Dr. Rohrschneider berichtet, belegen Patientenbefragungen die Qualität und Akzeptanz des Beratungsangebotes: 90 % der Befragten waren sehr zufrieden mit der Beratung, 60 % der Patienten nutzen ihre Hilfsmittel regelmäßig. Eine im Vergleich hohe Zahl. Basis hierfür sei nach Herrn Dr. Rohrschneider die intensive Beratung und die Geräteeinweisung an der Universitätsklinik Heidelberg.

Ursachen für die Nichtnutzung von Hilfsmitteln, - immerhin noch 40 % - sieht Herr Prof. Dr. Rohrschneider vor allem in dem Fortschreiten der Erkrankung, aber auch in Problemen im Umgang mit den Hilfsmitteln. Häufig seien es altersbedingte Gründe, die zu einer Nichtnutzung des Hilfsmittels führen.

Elektronische Hilfsmittel stehen bei der Versorgung von Sehbehinderten grundsätzlich nicht im Vordergrund. Der Großteil der Patienten sei mit optischen Hilfsmitteln ausreichend versorgt. Diese sind zudem häufig preisgünstiger und flexibler im Einsatz.

Herr Sührer informiert über die Aufgaben der Technischen Berater der Bundesagentur für Arbeit und der Integrationsämter. Diese beraten bei der Erstausstattung des Arbeitsplatzes und, im Rahmen der Begleitenden Hilfe durch die Integrationsämter, bei der Erhaltung und Anpassung vorhandener Arbeitsplätze an aktuelle betriebliche Anforderungen.

Im Zentrum der Beratung, so Herr Sührer, stehen die Forderungen des Arbeitgebers: es gilt, funktionsfähige Arbeitsplätze einzurichten. Hinzu kommt die Behinderung des sehbehinderten oder blinden Mitarbeiters: mit welcher Technik, mit welchen Maßnahmen lassen sich Einschränkungen bei der Durchführung von Arbeitsaufgaben ausgleichen? Bei der Findung von geeigneten technischen und organisatorischen Lösungen seien die über 90 Technischen Berater der Bundesagentur für Arbeit durch keine Vorgaben eingeschränkt. Gesucht wird die jeweils akzeptable Lösung.

Dabei werden je nach Schwere des Falles auch weitere Spezialisten, insbesondere auch die Außendienstmitarbeiter der Hilfsmittelanbieter, einbezogen. Aufgezeigt wird ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Dies immer mit dem Ziel, für die konkrete, arbeitsplatzbezogene Problemstellung geeignete, möglichst alternative Lösungen anzubieten. Im Bedarfsfall wird auch mit den Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken zusammengearbeitet.

Herr Sührer führt aus, dass neben der Entwicklung arbeitsplatzbezogener Problemlösungen auch die Beratung der Betroffenen zum Tätigkeitsfeld der Technischen Berater der Bundesagentur für Arbeit gehört. Es werden Informationen zu Technischen Hilfsmitteln an sehbehinderte und blinde Mitarbeiter in den Betrieben weitergeben.

Frau Hannelore Loskill schildert die aktuelle Situation im Bereich der Beratung sehbehinderter Studierender. Wie Frau Loskill ausführt, sind spezielle Beratungsangebote für Studierende in Deutschland bisher die große Ausnahme, es gibt sie nur an wenigen Universitäten und Hochschulen. Die Gründe hierfür seien unterschiedlich. Der Kreis sehbehinderter und blinder Studenten ist bisher sehr klein - dementsprechend sieht es mit Beratungsangeboten aus. Hinzu kommt, dass anders als in der beruflichen Rehabilitation die Kostenträgerschaft, sowohl bei den notwendigen Beratungsangeboten als auch bei der Beschaffung der erforderlichen Hilfsmittel, oft ungeklärt ist.

Vor diesem Hintergrund muss sich Beratung von Studierenden meist auf rechtliche Aspekte, zum Beispiel zur Kostenübernahme notwendiger Hilfsmittelausstattungen, beschränken. Für individuelle Beratung - das würden auch die Erfahrungen an der Universität in Düsseldorf belegen - bleibt in der Regel kaum Zeit. Oft fühlt sich kein Kostenträger zuständig für die Studierenden. Zwei aktuelle Beispiele hierzu führt Frau Loskill an: wer finanziert die Hilfsmittelausstattung bei einem Zweitstudium? Wer ist zuständig für die Ausstattung von Studierenden, die keine deutschen Staatsangehörigen sind?

Anders, so Frau Loskill, sieht es im schulischen Bereich aus. Hier existiert ein eigenes Beratungsangebot. Die Lehrkräfte vor Ort verfügen über entsprechende Erfahrungen, wobei natürlich der Wunsch besteht, bei Hilfsmittel- und PC-Ausstattung über einen aktuelleren Stand der Technik verfügen zu können als dies häufig der Fall ist.

Weiter weist Frau Loskill auf aktuelle Probleme bei den integrativ beschulten, sehbehinderten Kinder hin. Die eigentlich hervorragenden Programme zum Thema "Schulen ans Netz" müssen sehbehinderte Kinder zukünftig besser integrieren. Häufig sei es so, dass diese die eingesetzte Schulsoftware nicht benutzen können und so vom Unterrichtsangebot ausgeschlossen seien. Hier besteht erheblicher Aufklärungs- und Handlungsbedarf.

Frau Loskill berichtet, dass die Studierenden an der Universität in Düsseldorf häufig über keine oder nur sehr geringe Kenntnisse im Bereich elektronischer Hilfsmittel verfügen.

An den zwei, im Rechenzentrum und in der Bibliothek, eingerichteten EDV-Arbeitsplätzen für blinde und sehbehinderte Studenten müsse häufig Basiswissen, wie z.B. das Arbeiten mit Sprachausgabe und Braillezeile, vermittelt werden.

Bei der Einrichtung dieser Arbeitsplätze wurde darauf geachtet, ein System zu nutzen, das sich an verschiedenen Stellen installieren lässt und das mit minimalem Aufwand betreut werden kann. Diese Arbeitsplätze werden betreut, an ihnen können sehbehinderte oder blinde Studenten arbeiten. Eine individuelle Versorgung mit Hilfsmitteln darüber hinaus sei im Rahmen der universitären Betreuung nicht möglich.

Insgesamt, so Frau Loskill, sei festzuhalten, dass es im Universitäts- und Hochschulbereich erhebliche Lücken gibt. Diese allerdings nicht nur beim Beratungsangebot. Es geht auch um Kenntnisse der betroffenen Studenten im Umgang mit Hilfsmitteltechnik, insbesondere aber um die Finanzierung bzw. Kostenträgerschaft der notwendigen Hilfsmittelversorgung vieler Studierender.

Hinzu komme noch, dass Sehbehinderung kein statischer Prozess ist. Diese Veränderung der Anforderungen an unterstützende Technik müssen Beratungs- und Versorgungsangebote berücksichtigen. Ungeklärt ist derzeit, wie Unterrichtende und Kostenträger auf diesen wechselnden Bedarf reagieren können.

Frau Schulze vom Berufsförderungswerk Halle informiert am Beispiel Halle über das Beratungsangebot der auf blinde und sehbehinderte Rehabilitanden spezialisierten Berufsförderungs- und Berufsbildungswerke.

Das Berufsförderungswerk Halle, so Frau Schulze, sei das kleinste der drei auf die Ausbildung blinder und sehbehinderter Rehabilitanden spezialisierten Berufsförderungswerke. In Halle werden ca. 140 erwachsene Rehabilitanden weitergebildet oder umgeschult.

Das Beratungsangebot des Berufsförderungswerkes Halle habe sich in den letzten Jahren extrem verändert. Aus der seit 1990 durchgeführte Erprobung sehbehinderter Rehabilitanden an elektronischen Hilfsmitteln entstand 1999 der Low-Vision-Bereich. Auf Basis von Geräteerprobungen und Belastungsprüfungen und unter Einbeziehung von spezialisiertem Fachpersonal wurden spezielle Beratungs- und Analysengebote aufgebaut.

Frau Schulze berichtet, dass die bundesdeutschen Berufsförderungswerke mit dem Reha-Accessment über ein gemeinsames, aktuell entwickeltes und modulares Beratungsangebot verfügen. In Halle würden hierzu, in Zusammenarbeit mit dem Low-Vision-Bereich, folgende Module zur Verfügung stehen:

  • gezielte Arbeitserprobung
  • Berufsfindung, berufliche Eignung
  • berufsbezogene Sehhilfenerprobung und -beratung
  • funktionelle Belastungserprobung.

Frau Schulze skizziert am Beispiel einer berufsbezogenen Sehhilfenerprobung für sehbehinderte Personen das Beratungs- und Analyseverfahren am Berufsbildungswerk Halle.

Grundlagen

Bei der Neuausstattung bzw. Anpassung eines Arbeitsplatzes stellen sich Fragen wie die folgenden:

  • Mit welchem Hilfsmittel können Arbeitsaufgaben am besten realisiert werden?
  • Wie lassen sich Belastungserscheinungen minimieren?
  • Gibt es trotz des Einsatzes von Hilfsmitteln Einschränkungen in den Möglichkeiten der Arbeitsausübung?

Low-Vision-Prüfung

Hier wird, unter Einbeziehung eines umfangreichen Pools an optischen und elektronischen Hilfsmitteln, die individuelle Fähigkeit des Sehens eingeschätzt. Ermittelt wird unter Laborbedingungen:

  • Kontrastsehvermögen
  • Farbsehvermögen
  • Vergrößerungsbedarf mit Sehproben
  • Ermittlung des Lichtbedarfs in einem spezial angefertigten Lichtlabor

Hilfsmittelerprobung

Mit den Erkenntnissen der Low-Vision-Prüfung wird dann die eigentliche Hilfsmittelerprobung durchgeführt. Wichtige Aspekte sind hier z.B.:

  • Vorkenntnisse der Betroffenen von EDV- und Hilfsmitteltechnik
  • das Arbeiten des Betroffenen mit bestimmten Hilfsmitteln
  • Für welche Zwecke soll das Hilfsmittel eingesetzt werden (z.B. mobil, welche Software wird benutzt)?

Frau Schulze berichtet weiter, dass Beratung und Analyse generell anbieterunabhängig und neutral erfolgen sowie auf Basis eines umfangreichen Pools relevanter Hilfsmittel. Gegebenenfalls erforderliche, augenärztliche Untersuchungen werden gemeinsam mit der Universitätsklinik Halle durchgeführt.

Die Ergebnisse der Hilfsmittelerprobung werden in einem detaillierten Abschlussbericht, der neben elektronischen auch optische Sehhilfen einbezieht, zusammengefasst.

Die Erfahrungen zeigen, so Frau Schulze, dass nicht immer gleich ein elektronisches Hilfsmittel, z.B. ein Kameralesesystem, erforderlich ist, oft ist eine Lupe besser geeignet. Aber das muss im Einzelfall ausgetestet werden.

Herr Gerd Schwesig (Blindenverband Niedersachsen) berichtet über das Beratungsangebot der Blinden- und Sehbehindertenverbände, das generell allen Ratsuchenden, Betroffenen wie Angehörigen offen stehen würde. Die Finanzierung des Beratungsangebotes erfolgt durch Mittel der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe, häufig durch Spenden. Neben hauptberuflichen Beratern sind auch ehrenamtliche Berater in den Regionen aktiv. Ein bundesweites flächendeckendes Beratungsangebot durch die Verbände gibt es allerdings nicht. Bei dem vorhandenen Beratungsangebot bestehen erhebliche Unterschiede in Umfang und Qualität.

Herr Schwesig erläutert, dass die mit hauptamtlichem Personal ausgestatteten Beratungsangebote meist auch über eine Ausstellung elektronischer und optischer Hilfsmittel verfügen, die dann vor Ort ausprobiert werden könne. Organisiert werden auch Hilfsmittelausstellungen unter Beteiligung der Produktanbieter.

Die Hilfsmittelberater der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe sind in einem bundesweiten Gremium zusammengefasst, das sich einmal im Jahr trifft. Weiterbildung, Informationsaustausch und die Zusammenarbeit bei schwierigen Einzelfällen sind gemeinsame Themenschwerpunkte.

Ein großer Teil der Ratsuchenden, so berichtet Herr Schwesig, sind ältere Menschen. Hier geht es meist um Hilfsmittel für den privaten Bereich. Bei der Beratung wird eng mit einem Netzwerk kompetenter Institutionen zusammengearbeitet. Hilfsmittelmessen, Geräteerprobungen bei Anbietern und in den eigenen vier Wänden gehören ebenso dazu, wie die Zusammenarbeit mit den Berufsförderungs- und Berufsbildungswerken, mit Augenkliniken oder spezialisierten Schulen. Die Berater der Verbände seien oft erste Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige und entscheiden dann, welche Partner mit ins Boot geholt werden müssen. Bei der Beratung von Schülern sind dies z.B. Lehrer von Blindenschulen mit entsprechenden Erfahrungen.

Welches Beratungsangebot für wen? Wer kommt in den Genuss der Beratung?

Das Angebot an Hilfsmittelberatung ist segmentiert und wird häufig im Rahmen umfassender, medizinischer oder beruflicher Rehabilitationsangebote, im Zusammenhang mit der schulischen oder universitären Ausbildung oder als Selbsthilfeangebot der Betroffenenorganisationen erbracht. Das legt die Frage nahe, wer kommt überhaupt in den Genuss dieser Beratungsangebote? Warum fehlt es in Deutschland an einem flächendeckenden Low-Vision-Beratungsangebot der Augenkliniken und Fachärzte?

Stehen - insbesondere bei den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit - auf Grund der aktuellen Gesetzgebung (SGB IX, Schwerbehindertenausgleichsabgabenverordnung) Veränderungen des Leistungsangebotes ins Haus?

Frau Schulze, Berufsförderungswerk Halle

Die Beratungsangebote der Berufsförderungs- und Berufsbildungswerke werden im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen erbracht, für die verschiedene Kostenträger aufkommen. Dies sind in erster Linie die Rentenversicherungsträger und die Bundesagentur für Arbeit. Aber auch im Auftrag von Integrationsämtern oder Arbeitgebern werden diese Maßnahmen durchgeführt. Weiter berichtet Frau Schulze, dass eine Krankenkasse für ihre Versicherten in Halle Erprobungen an Scannerlesegeräten oder Bildschirmlesegeräten vornehmen lässt.

Beraten werden nicht nur Personen mit Sehbehinderungen, sondern auch, wer Sehprobleme hat, findet in Halle geeignete Beratungsangebote.

Herr Sührer, Bundesanstalt für Arbeit

Für den Beratungsdienst der Beratenden Ingenieure der Bundesagentur für Arbeit, der auch für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) aktiv ist, wird sich auf Grund der jüngsten gesetzlichen Änderungen des Rehabilitationsrechts kaum etwas ändern, so Herr Sührer. Hintergrund dieser Beratungsleistungen und der Bewilligung von Hilfsmittelausstattungen sind ja die Versicherungsleistungen aus der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Diese fallen nicht unter die gesetzlichen Neuregelungen des Rehabilitationsrechtes. Eine vom Berater empfohlene Hilfsmittelausstattung wird in der Regel dann vom jeweiligen Kostenträger auch bewilligt. Allerdings haben die Technischen Berater in jüngster Zeit Verzögerungen bei der Bewilligung festgestellt.

Herr Sührer führt weiter aus, das es bei den beratenden Ingenieuren der Integrationsämter anders aussieht. Hinter deren Beratungsleistungen und den Hilfsmittelbewilligungen stehen ja die Mittel der Ausgleichsabgabe. Hier ist, auch auf Grund der gesetzlichen Veränderungen, zu bemerken, dass der finanzielle Spielraum kleiner geworden ist. Es könnten in Zukunft weniger Mittel aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehen. Eventuell führt dies dazu, dass die Arbeitgeber sich in Zukunft mit einem höheren Anteil an der Finanzierung der benötigten Hilfsmittelausstattung beteiligen müssen. Dies eventuell auch in Abhängigkeit davon, ob die Beschäftigungsquote erfüllt ist. Dies wäre zumindest theoretisch möglich. Insgesamt so meint Herr Sührer, besteht also auch bei knapper werdenden Mittel förderpolitischer Handlungsspielraum.

Weiterhin erläutert Herr Sührer, dass bei den Leistungen von Kostenträgern und Integrationsämtern zur Finanzierung von behinderungsbedingten Arbeitsplatzanpassungen nicht übersehen werden darf, dass die technische Entwicklung weiter voran schreitet. Hilfsmittel müssen angepasst und ausgetauscht werden, neue Technologien werden eingesetzt und erfordern zusätzliche Adaptionen für blinde und sehbehinderte Menschen. All das kostet viel Geld. Zugleich nehmen die zur Verfügung stehenden Mittel ab. Das könnte zu Einschränkungen führen.

Prof. Dr. med. Klaus Rohrschneider, Universitätsklinik Heidelberg

Herrn Prof. Dr. Rohrschneiders Antwort auf die Frage, warum es in der Deutschland an einem flächendeckenden "Low-Vision-Beratungsangebot" fehlt, lautet: es ist das Geld. Ein akzeptables und anbieter-unabhängiges Beratungsangebot ist mit erheblichen Kosten verbunden. Das zeige sich auch in Heidelberg. In seiner Abteilung seien sieben Mitarbeiter beschäftigt. Und um vernünftig beraten zu können, versuche man, alle optischen sowie elektronischen Hilfsmittel präsent zu haben, um unabhängig zu sein, möglichst Geräte unterschiedlicher Anbieter.

Finanziert werden diese Leistungen nur unzureichend durch Mittel der Krankenkassen, die pro Patient der Universitätsklinik eine Behandlungspauschale zahlen, aus der auch Hilfsmittelberatung refinanziert wird, unabhängig davon, wie umfangreich der jeweilige Aufwand tatsächlich ist. Das ist bei den meisten Augenkliniken - auch wenn es zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen Unterschiede geben mag - im Wesentlichen ähnlich, lediglich an einzelnen Kliniken vor allem in Bayern existieren bisher Finanzierungsmodelle, die den Aufwand der Anpassung berücksichtigen.

Herr Prof. Dr. Rohrschneider informiert über die Ergebnisse einer 1996 durchgeführten Befragung zur Hilfsmittelberatung an Augenkliniken in Deutschland. Von den 200 befragten Kliniken (davon 35 Universitäts-Augenkliniken) gaben 36 an, sie hätten eine Sehbehindertenberatung. Drei dieser Beratungsangebote fanden sich an Kliniken mit mehr als 1500 Patienten jährlich, weitere 13 Beratungsstellen an Einrichtungen, die pro Jahr nicht mehr als 150 Patienten sehen (also nicht mal einer pro Tag) und die verbleibenden 20 Kliniken gaben an, sie würden jährlich unter 100 Patienten beraten. Diese letzte Gruppe muss ohne spezielles Beratungspersonal auskommen. Bei den Augenärzten, so erläutert Herr Prof. Dr. Rohrschneider, besteht das Problem, dass die Krankenkassen den im Durchschnitt 3stündigen Zeitaufwand für Beratungsleistungen zur Verwendung von Hilfsmitteln nicht honorieren. Bei den Optikern sieht dieses ein wenig anders aus. Es sind also fehlende finanzielle Mittel des zuständigen Kostenträgers, die den Aufbau eines flächendeckenden Low-Vision-Beratungsangebotes an Augenkliniken und bei niedergelassenen Fachärzten verhindern.

Herr Gerd Schwesig, Blindenverband Niedersachsen

Herr Schwesig berichtet, dass das Beratungsangebot der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe grundsätzlich allen Betroffenen offen steht. In erster Linie kommen Mitglieder der Verbände. Meist sind es ältere Menschen. Seltener geht es um Rehabilitation, berufliche Bildung und Schulausbildung.

Thematisch gehe es bei der Beratung vor allem um Hilfsmittel für den privaten Bereich. Häufig steht dabei die Rechtsberatung, meist gegenüber den Krankenkassen, im Vordergrund. Für die letzten Jahre, so führt Herr Schwesig aus, lässt sich ein Trend beobachten: es werde immer schwieriger, ein Hilfsmittel von den Kassen bewilligt zu bekommen. Entsprechend nehme der Bedarf an Rechtsberatung zu.

Qualität, Neutralität, Vernetzung: Eckpunkte bedarfsorientierter Beratungsangebote

Beratung zu Computerhilfsmitteln und moderner IuK-Technologie muss mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt halten. Technische Kompetenz zum aktuellen Produktangebot ist ein wesentlicher Beratungsbaustein. Wie aber ist diese zu gewährleisten? Wie sind Produktanbieter einzubinden? Lassen sich vorhandene Kompetenzen effektiver vernetzen?

Frau Hannelore Loskill, BAGH

Frau Loskill führt aus, dass die Beratung zu Computerhilfsmitteln keinesfalls den Produktanbietern allein überlassen werden könne. Zwar würden diese hervorragend über ihr Produktangebot informieren. Notwendig sei aber ein darüber hinausgehendes, vor allem ein neutrales, anbieter-unabhängiges Beratungsangebot.

Solch ein Beratungsangebot muss, so Frau Loskill, über technische Aspekte hinausgehen. Wesentlich sei z.B. die Ermittlung des jeweiligen Bedarfs. Hier spielen auch psychosoziale Aspekte, wie z.B. die Verarbeitung einer schweren Augenerkrankung, eine Rolle. Das technische Verständnis und die Bereitschaft, sich mit unterstützender Technologie auseinander zu setzen, seien häufig sehr unterschiedlich ausgeprägt. Hilfsmittelberatung muss sich mit diesen Aspekten auseinandersetzen, die Frage nach dem eigentlichen Hilfsmittel steht dabei oft am Ende einer umfassenderen Versorgungskette. Und es sollten neutral unterschiedliche technische Möglichkeiten einbezogen werden.

Frau Loskill führt weiterhin aus, dass eine allein den Produktanbietern überlassene Beratung diesen Anforderungen nicht genügen würde. Hier liegt der Focus auf der Präsentation und Erläuterung des jeweiligen Hilfsmittelangebotes. Eine wichtige Beratungsleistung, die aber eingebettet sein muss, in ein umfassenderes Angebot.

Erforderlich, so Frau Loskill weiter, sei letztlich ein Netzwerk unabhängiger, nicht nur technisch kompetenter Beratungsangebote. Davon sei man derzeit noch ein großes Stück entfernt, auch wenn punktuell bereits umfassende, qualifizierte Angebote existieren. Es reicht nicht, bei aller Kompetenz zum eigenen Produktangebot, sich bei der Beratung auf die Hilfsmittelanbieter zu verlassen. Es müsse vielfältig beraten werden.

Herr Prof. Dr. Rohrschneider, Universitätsklink Heidelberg

Herr Prof. Dr. Rohrschneider weist darauf hin, dass es für die Beratung nicht immer einfach sei, mit der aktuellen technischen Entwicklung Schritt zu halten. Hier sei die Kooperation mit anderen Experten zu empfehlen. So arbeite man in Heidelberg z.B. mit Anbietern zusammen, die neue Geräte vorführen und für die Erprobung und Beratung zur Verfügung stellen. Auch bei der Entwicklung von Hilfsmitteln wird mit Anbietern zusammengearbeitet. Insgesamt seinen die Ressourcen natürlich begrenzt, wenn es darum geht, alle Produkte zu kennen oder gar zu erproben. Bei der Beratung zu PC-Arbeitsplätzen wird in Heidelberg auch mit dem ortsansässigen Berufsförderungswerk kooperiert.

Herr Prof. Dr. Rohrschneider ist ebenfalls der Meinung, dass anbieterneutrale Beratung auf jeden Fall erforderlich ist. Nicht selten habe man mit Patienten zu tun, die sich auch auf Grund der Informationen eines bestimmten Produktanbieters oder eines Bekannten bereits für ein Gerät entschieden haben, das für ihre individuelle Situation nur bedingt oder gar nicht geeignet ist. Es bereitet dann nicht selten erhebliche Mühe, bei den Ratsuchenden die Akzeptanz für ein geeigneteres Hilfsmittel zu wecken. Eine sachlichere Beratung auf Seiten der Produktanbieter wäre nach Auffassung von Herrn Prof. Dr. Rohrschneider sinnvoll und arbeitserleichternd.

Auch bei der Ausstattung von Arbeitsplätzen wäre eine sachlichere Herangehensweise wünschenswert. Hilfsmittelanbieter sollten sich stärker an den Erfordernissen des Arbeitsplatzes orientieren und sachlich darüber informieren, inwieweit mit ihrer Technologie die geforderte Anpassung möglich ist. Dieses auch unter dem Aspekt der erforderlichen Kenntnisse, Belastungen und den erzielbaren Arbeitsergebnissen auf Seiten des jeweiligen Arbeitnehmers.

Frau Schulze, BFW Halle

Frau Schulze erläutert, dass auch für die Berufsförderungswerke die Zusammenarbeit mit Hilfsmittelanbietern wichtig ist. In Halle gehöre dazu auch die Weiterbildung beim Anbieter und die Erprobung neuer Produkte im Berufsförderungswerk. Wichtig sei auch, bereits ausgestattete Arbeitsplätze in den Betrieben eingehend zu testen. Frau Schulze berichtet weiter, dass man bei den im BFW Halle durchgeführten Einzelschulungen häufig zweigleisig verfahre. Der erste Teil der Schulung erfolgt im Berufsförderungswerk, dann wird die Technik im Betrieb installiert und die Schulung dort fortgeführt. So lassen sich Grenzen und Möglichkeiten aktueller Technik in der praktischen Anwendung erfahren. Auch sei es nach Auffassung von Frau Schulze ein erheblicher Unterschied, ob man als Sehender Technik testet oder ob man eine betroffene Person schule, um dabei dann zu erfahren, welche tatsächlichen Probleme mit der jeweiligen Technik bestehen.

Zum Thema Überversorgung führt Frau Schulze aus, dass man in Einzelfällen festgestellt habe, dass Technik am Arbeitsplatz zwar vorhanden ist, diese aber fast nicht benutzt werden konnte. Entweder weil sie nicht funktionierte oder weil beim Betroffenen die erforderliche Einweisung fehlte. Gerade die Einweisung und Schulung im Umgang mit dem Hilfsmittel ist ein wesentlicher Faktor, auch für die Beratung.

Herr Sührer, Bundesanstalt für Arbeit

Herr Sührer führt aus, dass auch für die Technischen Berater der Bundesagentur für Arbeit die Zusammenarbeit mit dem Hilfsmittelanbieter ein wesentlicher Faktor sei. Ab einem gewissen Grad der Schwierigkeiten des Falles brauche man einfach Fachkräfte, welche am Maßstab der Arbeitsplatzanforderungen die Möglichkeiten ihres Hilfsmittels darstellen können. Allerdings habe man in Nürnberg festgestellt, dass entsprechende Aussagen der Anbieter durchaus kritisch analysiert werden müssen. Nicht immer würde das unter Kosten- und Effektivitätsgesichtspunkten geeignetste Hilfsmittel angeboten.

Für die Zukunft wünscht sich Herr Sührer, dass die Hilfsmittelanbieter bei ihren Angeboten zwischen zwei Kostenblöcken trennen könnten: auf der einen Seite die Kosten für Situationsanalyse und Angeboteserstellung, auf der anderen Seite die Kosten für die eigentliche Hilfsmittelbeschaffung und Installation. Diese Trennung würde Transparenz in die eigentliche Hilfsmittelversorgung bringen und die Anbieter könnten die oft nicht unerheblichen Kosten für die Situationsanalyse geltend machen.

Weiter berichtet Herr Sührer, dass sich die Technischen Berater der Bundesagentur für Arbeit 2 bis 3 mal im Jahr zu Weiterbildungskursen treffen. Dazu werden dann auch Fachhersteller eingeladen oder Betriebsbesichtigungen durchgeführt. Um mit der technischen Entwicklung Stand zu halten, würden die Berater die klassischen Instrumentarien nutzen: Messen, Produktinformationen, Literatur und natürlich das INCOBS-Informationsangebot. Weiter in die Tiefe könnten die Technischen Berater nicht gehen. Insgesamt werden bei der Beratung 70 verschiedene Behinderungsformen einbezogen und betreut; von den unterschiedlichen körperlichen Einschränkungen bis hin zu psychischen Handicaps. Die Technischen Berater sind daher darauf angewiesen, auf vorhandene Angebote zurückzugreifen. Das gilt, nach Einschätzung von Herrn Sührer, für die Technischen Berater der Integrationsämter genauso.

Herr Gerd Schwesig, Blindenverband Niedersachsen

Herr Schwesig berichtet, dass auch bei der Beratung durch die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe die Technik eine wichtige Rolle spiele - allerdings keine übergeordnete. Für die Ratsuchenden stehe in erster Linie die Verarbeitung des Sehverlustes im Vordergrund. Es gehe um psychosoziale Betreuung, um das Erlernen von Orientierung, von grundlegenden lebenspraktischen Fertigkeiten. Meist erst in einem zweiten Schritt gehe es dann darum, wieder lesen zu können, optische oder elektronische Hilfsmittel nutzen zu können.

Herr Schwesig führt weiter aus, dass die Hilfsmittelberater der Verbände bei der technischen Entwicklung gern kompetenter währen und aktueller beraten möchten. Sein Wunsch ist: dass auch das Projekt INCOBS unterstützt beim Aufbau nutzergerechter Beratungsangebote der Verbände. Generell gilt nach Auffassung von Herrn Schwesig: es gibt einen Fortbildungsbedarf mit dem Ziel aktueller, fachkundiger und unabhängiger Beratungsangebote. Herr Schwesig regt ein bis zweimal im Jahr stattfindende Fortbildungsangebote an.

Ergebnisse der Abschlussdiskussion

Die Statements und Fragen des Plenums und die Antworten des Podiums lassen sich zu folgenden Aussagen zusammenfassen:

Das Angebot an anbieterneutralen Beratungsangeboten in Deutschland ist lückenhaft.

  • Die bestehenden Beratungsangebote haben unterschiedliche Schwerpunkte und Kompetenzen. Notwendig ist eine unabhängige Beratung. Dazu gehört Neutralität und Vielfalt der Beratung. Gefordert ist ein unabhängiges, neutrales, nicht allein auf technische Aspekte beschränktes Beratungsangebot.
  • Ein solches Angebot hat unterschiedliche Zielgruppen: neben der Beratung am Arbeitsplatz, für die berufliche Qualifikation und der Unterstützung der häuslichen Lebensführung geht es auch um Schulausbildung und Studium. Die Beratungsbedarfe der Zielgruppen sind heterogen.
  • Ein flächendeckendes, einheitlichen Standards genügendes, unabhängiges Beratungsangebot der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe für den Bereich Computerhilfsmittel existiert in Deutschland bisher nicht. Neben qualifizierten, meist über Spenden finanzierten Angeboten, wie z.B. in Bayern, Berlin oder in Hannover, gibt es noch viele "weiße Flecken" auf der Landkarte.
  • Auch bei den, letztlich durch die Krankenversicherung finanzierten, einschlägigen Beratungsangeboten augenärztlicher Kliniken gibt es Qualitätsunterschiede und Versorgungslücken.
  • Die Informations- und Beratungsleistungen der Produktanbieter (refinanziert durch den Verkauf der Hilfsmittel) sind ebenfalls ein integraler Faktor der Hilfsmittelversorgung. Sie können eine neutrale, auf Transparenz setzende, die Lebenssituation und individuelle Anforderungen einbeziehende, Beratung aber nicht ersetzen.
  • Die neutralen Beratungsangebote der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe sind ein wichtiger Baustein neben den weiterführenden oder spezialisierten Beratungs-, Ausbildungs- und Versorgungsleistungen von Augenkliniken, Berufsförderungswerken und Kostenträgern der beruflichen Rehabilitation.
  • Für Studierende fehlen passende Beratungsangebote.

Gefordert ist die Vernetzung unabhängiger Beratungsangebote.

  • Über die Vernetzung bestehender Beratungsangebote ließen sich vorhandene Erfahrungen, Schwerpunkte und Kompetenzen im Interesse der Ratsuchenden effektiver nutzen.
  • Gefordert ist auf Seiten der Beratungsstellen dann auch die Bereitschaft zu kooperieren, eigene Grenzen zu sehen, Beratungsfälle mit anderen Experten zu diskutieren oder abzugeben.
  • Die Internetseiten, Newsletter und E-Mail-Informationen der Produktanbieter über aktuelle Hilfsmittel sind hilfreich. Allerdings besteht Verbesserungsbedarf: Nicht alle interessierten Beratungsstellen sind in den Verteilerkreis einbezogen. Bei den Internetseiten der Hilfsmittelanbieter gibt es erhebliche Unterschiede bei der Aktualität der Informationen.
  • INCOBS ist als neutrale Instanz aufgefordert, den Aufbau eines Beratungsnetzwerkes zu unterstützen.
  • Beratungskompetenzen der Fachschulen sollten in das Beratungsnetzwerk aufgenommen werden. Das lässt sich am Beispiel der staatlichen Schule für Sehgeschädigte in Schleswig verdeutlichen. In dieser komplett integrativ arbeitenden Schule bleiben die Schüler vor Ort, die Lehrkräfte fahren dorthin und beraten auch zum Thema Hilfsmittel- und EDV-Nutzung in der Schule. Diese spezifischen Kompetenzen sollten genutzt werden.

Beispiele für die Refinanzierung von Beratungsangeboten für Studierende über Sozialhilfeträger

  • Anregung kann das Modell der RES aus Marburg geben. Hier werden seit Mitte der 90er Jahre Beratungsleistungen für Studierende des Landes Hessen erbracht, deren Refinanzierung durch den überörtlichen Träger der Sozialhilfe erfolgt. Ziel des Trägers ist es, eine unabhängige Begutachtung der Anträge von Studenten zu realisieren. Das Ergebnis: Der Kostenträger hat auf Grund einer effektiven Beratung erhebliche Mittel eingespart, die Ausstattungen entsprechen besser den tatsächlichen Anforderungen.

Lassen sich standardisierte Werkzeuge für die Hilfsmittelberatung entwickeln?

  • Hilfsmittelberatung ließe sich effektiver gestalten, wenn es möglich wäre, standardisierte Beratungswerkzeuge einzusetzen. Gedacht ist an eine Auflistung von Elementartätigkeiten im Zusammenhang mit kommunikativen Arbeitsaufgaben bzw. Tätigkeitsmerkmalen.
  • Sollte es stimmen, dass sich viele Beratungsanfragen auf solche Elementartätigkeiten zurückführen lassen, würde eine solche Auflistung die Beratung vereinfachen und das Beratungsergebnis an Hand des Hilfsmitteleinsatzes überprüfbar machen. Ein praktisches Beispiel dazu: Zielvorgabe für den Hilfsmitteleinsatz bei Studierenden wäre die Handhabung elektronischer Dokumente im PDF- oder XML-Format. An dieser Vorgabe ließe sich messen, mit welcher Technik man wie weit kommt. Die gewonnenen Ergebnisse könnten dann Grundlage, z.B. für die Einrichtung von Bibliotheksarbeitsplätzen, sein.
  • Entgegenzuhalten ist diesem Konzept, dass eine praktikable Fassung von Elementartätigkeiten schwierig sein könnte. Für bestimmte Elementartätigkeiten, wie z.B. dem Arbeiten mit MS Word, sind fast alle Screenreader geeignet. Ansonsten trifft man in der Beratungspraxis meist auf sehr spezielle Fragestellungen, die sich kaum standardisieren lassen. Z.B. bei einer Sehbehinderung spielen mit der verbliebenen Sehfähigkeit, der Belastbarkeit, der Arbeitsplatzumgebung sowie den Arbeitsanforderungen ganz verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle. Hier ist das Ausprobieren vermutlich der geeignetere Weg.
  • Die Berater der Bundesagentur für Arbeit setzen, zumindest im Ansatz, ein standardisiertes Werkzeug ein. Ein Verfahren, mit dem Anforderungen des Arbeitsplatzes in Grundelemente zerlegt werden, um darauf aufbauend stufenweise konkrete Arbeitsaufgaben zu identifizieren. Dann wird ermittelt, mit welchen Hilfsmitteln die Arbeitsaufgabe realisiert werden könnte. Auf Basis dieser Sollanalyse erfolgt dann die Suche nach einem geeigneten Hilfsmittel und die praktische Erprobung.

INCOBS soll über Beratungsangebote im Bereich Computerhilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen informieren.

  • INCOBS wird aufgefordert, ein Informationsangebot über Beratungsangebote zum Thema Computerhilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen aufzubauen. Für den Aufbau des Beratungsangebotes wurde ein schrittweises Vorgehen angeregt: 1. Dokumentation und Hinweise auf vorhandene Beratungsangebote (Adressen und Selbstdarstellungen), 2. Beschreibungen der Beratungsangebote an Hand nutzerrelevanter Kriterien (Umfang, Schwerpunkte, Zielgruppen, Kosten, etc.)
  • Ziel ist, nutzergerecht und neutral über spezialisierte Beratungsangebote zu informieren.

Aufbau eines INCOBS-Angebotes "Multiplikatorenberatung"

  • INCOBS wird zur Unterstützung von Beratungsangeboten im Bereich Computerhilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen ein Angebot Multiplikatorenberatung aufbauen.
  • Das Angebot Multiplikatorenberatung sollte neben der Vermittlung von Grundlagen und Detailinformationen auch Aspekte der Qualitätssicherung von Beratungsangeboten berücksichtigen.
  • Zielgruppen für dieses Angebot sind: Schwerbehindertenvertrauensleute in Betrieben, Hilfsmittelberater der Verbände, Technische Berater der Kostenträger, Ausbilder und Lehrer in Sehbehindertenschulen.
  • Das Informationsangebot soll gemeinsam mit den Blinden- und Sehbehindertenverbänden und anderen interessierten Gruppen entwickelt, erprobt und angeboten werden.

Zusammenfassung der Diskussion

  • Die Beratung blinder und sehbehinderter Menschen zu optischen und elektronischen Hilfen ist in Deutschland durch das gegliederte System der Rehabilitation geprägt. Umfang und Qualität dieser Angebote sind sehr heterogen, der Zugang ist oft kostenträgerabhängig.
  • Anbieterneutrale Beratungsangebote im Bereich Computerhilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen sind ein zentraler Baustein für eine nutzergerechte und effektive Hilfsmittelversorgung.
  • Das Angebot an anbieterneutralen und offenen Beratungsangeboten ist in Deutschland lückenhaft. Schwerpunkte, Umfang, Qualität und Zielgruppenorientierung bestehender Beratungsangebote sind sehr heterogen.
  • Angebotslücken gibt es bei einem flächendeckenden, im Wesentlichen von spezialisierten Augenkliniken getragenen, Low-Vision-Beratungsangebot, bei Beratungsangeboten für Schüler und Studierende sowie bei den Beratungsangeboten der Sehbehinderten- und Blindenselbsthilfe.
  • Über die Vernetzung bestehender Beratungsangebote können vorhandene Erfahrungen und Kompetenzen effektiver genutzt werden. INCOBS ist aufgefordert den Aufbau eines Beratungsnetzwerkes zu unterstützen.
  • Es fehlt an einem Informationsangebot über einschlägige Beratungsangebote. Erforderlich ist die Erfassung bestehender Beratungsangebote an Hand nutzerrelevanter Beschreibungskriterien. INCOBS ist aufgefordert, ein entsprechendes Informationsangebot aufzubauen.
  • Das von INCOBS aufzubauende Angebot "Multiplikatorenberatung" soll neben der Vermittlung von Grundlagen und Detailinformationen auch die Themen Qualitätssicherung und Beratungsinstrumente berücksichtigen. Der Aufbau dieses Angebotes erfolgt in enger Abstimmung mit der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe.

EDV-Schulungen für Blinde und Sehbehinderte - Qualitätsanforderungen

Vortrag von Herrn Kalina und Herrn Schwede (Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.)

Die Informations- und Kommunikationstechnologie hat in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten der Rehabilitation blinder und sehbehinderter Menschen wesentlich beeinflusst.

Durch den Einsatz spezieller Hilfsmittel wie Braillezeilen, Sprachausgaben und Vergrößerungsprogramme sind Blinde und Sehbehinderte heute in der Lage, moderne Computersysteme zu nutzen. Sie erhalten damit einen Zugang zu aktuellen Informationen - z. B. über das Internet oder von CD-ROMs - und können an modernen Arbeits- und Kommunikationsprozessen teilnehmen. Die Informationstechnik eröffnet so Blinden und Sehbehinderten eine Vielzahl neuer Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sowohl im privaten wie auch im beruflichen Bereich. Daher gehört die Beherrschung dieser Technik heute zu den Schlüsselqualifikationen in der Rehabilitation blinder und sehbehinderter Menschen, insbesondere auch hinsichtlich ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Ausführlichere Informationen dazu, wie Blinde und Sehbehinderte mit dem Computer arbeiten, bietet die Broschüre "FIT im Beruf", die - ebenso wie das vorliegende Papier - vom Gemeinsamen Fachausschuss für Informations- und Telekommunikationssysteme (FIT) der Blindenselbsthilfeverbände und des VBS erarbeitet wurde und vom DBSV herausgegeben wird.

Die hervorragenden Chancen, die die Computersysteme bieten, können allerdings nur dann erfolgreich genutzt werden, wenn ihre Anwender in adäquater Weise im Umgang mit dieser Technik ausgebildet werden.

Die vorliegende Schrift soll verdeutlichen, dass der Einsatz spezieller Computerhilfsmittel auch spezielle Schulungskonzepte erforderlich macht und dass der hohen technischen Qualität und Komplexität der Computerhilfsmittel eine Ausbildung auf entsprechend hohem Qualitätsniveau an die Seite gestellt werden muss, um den erfolgreichen Einsatz dieser Technik sicher zu stellen.

Hilfsmittelbedingte Besonderheiten beim Arbeiten mit dem PC

Dank der speziellen Hilfsmittel können Blinde und Sehbehinderte mit denselben Programmen und Daten arbeiten wie normal Sehende. Die Art und Weise, wie sie die Software bedienen, unterscheidet sich jedoch eben wegen dieser Hilfsmittel zum Teil erheblich von der Standardbedienung.

Die Ausgabemedien Braillezeile und Sprachausgabe können nur Informationen in Textform darstellen. Daher müssen die graphischen Informationen eines Windows-Bildschirms in Text umgewandelt werden. Hierfür wird eine spezielle Brückensoftware, der sogenannte Screenreader, eingesetzt.

Sehbehinderte arbeiten häufig mit einer Vergrößerungssoftware, die einen Teil des Bildschirms vergrößert darstellt und darüber hinaus weitere wichtige Funktionen anbietet - z.B. zur individuellen Anpassung der Farben, des Kontrastes oder der Konturen bei stark vergrößerten Zeichen.

Da alle Hilfsmittel immer nur einen relativ kleinen Teilausschnitt des gesamten Originalbildschirms darstellen können, stellen die Hilfsmittelprogramme auch zahlreiche Funktionen zur Verfügung, mit denen der jeweils gewünschte Bildschirmbereich ausgewählt werden kann. Für sehgeschädigte Computerbenutzer ergeben sich hieraus zwei grundlegende Konsequenzen: Der Überblick über den gesamten Bildschirm wird durch die Hilfsmittel eingeschränkt, der Bedienaufwand dagegen erhöht.

Bei den Hilfsmitteln für Blinde kommt hinzu, dass die Umwandlung der graphischen Darstellungen in eine Textform nicht immer ohne Informationsverluste funktioniert. Auch das Moment der intuitiven Bedienbarkeit, das für Sehende durch die graphische Darstellung erreicht wird, geht bei dieser Umsetzung für Blinde weitgehend ver-loren. Diese Einschränkungen müssen durch ein verstärktes Hintergrundwissen über die internen Strukturen und die Systematik graphischer Bedienoberflächen kompen-siert werden.

Die Steuerung der Software mit der Computermaus ist eng mit der graphischen Informationsdarstellung verbunden und wird daher von sehgeschädigten Computerbenutzern weitgehend durch Tastaturkommandos ersetzt. Die sichere Beherrschung der Tastatur ist überhaupt eine ganz wesentliche Grundvoraussetzung für die Computerarbeit.

So unterschiedlich die individuellen Ausprägungen einer Behinderung bei verschiedenen Menschen sein können, so verschieden kann auch die Zusammenstellung und Konfiguration der jeweiligen Hilfsmittel sein. Entsprechend individuell sind auch die Methoden und Bedienstrategien, mit denen im Einzelfall eine größtmögliche Effektivität beim Arbeiten mit dem Computer erzielt werden kann. Die genannten Punkte weisen bereits darauf hin, dass die Schulung blinder und sehbehinderter Computeranwender sich von der PC-Ausbildung normal Sehender durch zusätzliche Inhalte und besondere Methoden grundlegend unterscheidet.

Schulungsinhalte

Da blinde und sehbehinderte PC-Anwender mit den gleichen Programmen arbeiten wie normal Sehende, müssen sie natürlich auch deren Bedienung zunächst einmal im gleichen Umfang erlernen.

Darüber hinaus sollten sie unabhängig von ihrem Tätigkeitsschwerpunkt grundsätzlich auch den Umgang mit einer Textverarbeitung und den Zugang zum Internet erlernen, denn für sie ersetzt der PC als Hilfsmittel auch Notizblock und Stift bzw. verschiedene Printmedien als Informationsträger.

Die Hilfsmittelprogramme sind mittlerweile sehr komplexe Softwareprodukte. Sie bieten eine Vielzahl von Kommandos und Funktionen bis hin zu eigenen Skript-Programmiersprachen, mit denen die Anpassung an Anwendungsprogramme optimiert werden kann. Auch die graphischen Benutzungsoberflächen selbst bieten mittlerweile verschiedene Features, die die Bedienung für behinderte Anwender erleichtern können, wie z.B. Möglichkeiten zur Veränderung der Farben, der Größe von Systemschriften und -symbolen oder zur Funktionsweise der Tastatur. Die hilfsmittelbezogenen, speziellen Kenntnisse und Fertigkeiten stellen naturgemäß einen wesentlichen Schwerpunkt der PC-Ausbildung Blinder und Sehbehinderter dar. Je komplexer das Aufgabenfeld eines sehgeschädigten PC-Anwenders ist, um so umfassender muss auch das benötigte Hilfsmittelwissen sein.

Die sichere Beherrschung der Tastatur ist als eine unabdingbare Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche PC-Arbeit bereits genannt worden. Die vorzugsweise tastenorientierten Bedienstrategien erfordern außerdem, dass eine Vielzahl von Tastatur-Kommandos als Ersatz bzw. Ergänzung zur Maus-orientierten Bedienung vermittelt werden. Viele Anwendungsprogramme bieten Tastatur-Kommandos, die in gängigen PC-Lehrgängen für Sehende gar nicht erwähnt werden, weil dort die Bedienung mit der Maus bevorzugt wird.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Bild-zu-Text-Übersetzung der Screenreader-Programme Einschränkungen mit sich bringen. Bildsymbole, wie z. B. geöffnete oder geschlossene Aktenordner, geben Auskunft über den aktuellen Systemzustand, die räumliche Anordnung von Windows-Objekten kann einen logischen Zusammenhang zwischen ihnen anzeigen. Während es für Sehende häufig ausreicht, wenn ihr Bedienwissen an der (graphischen) Oberfläche stehen bleibt, ist es für Blinde und Sehbehinderte unerlässlich, die innere Systematik und die logischen Strukturen der Programmobjekte zu verstehen, die sich hinter der graphischen Oberfläche verbergen, um die Hilfsmittelbedingten Unzulänglichkeiten auszugleichen. Je mehr im Mensch-Maschine-Dialog die unmittelbare visuelle Rückmeldung eingeschränkt ist, um so wichtiger ist es, dass der Anwender bei jedem Bedienschritt genau "weiß, was er tut". Auch wenn blinde Windowsanwender selbst nicht auf der Ebene graphischer Symbole mit den Programmen arbeiten, sollten sie doch diese Symbolik zumindest auch kennen, damit sie mit Sehenden über die Programmbedienung reden können.

Methodische Aspekte

Nicht nur die Inhalte, auch die Schulungsmethoden müssen sich an den besonderen Arbeitsbedingungen blinder und sehbehinderter Computeranwender orientieren. Es geht nicht darum, die Arbeitsweise Sehender zu imitieren, sondern eigene spezifische Anwendungsstrategien zu entwickeln und zu vermitteln.

Zunächst einmal müssen die visuellen Metaphern der graphischen Programm-Objekte in eine objektorientierte und systematisierende sprachliche Form übersetzt werden. Dabei ist es wichtig, eine präzise, eindeutige, möglichst einheitliche und systematische Begrifflichkeit zu verwenden, wenn es um die Benennung von Programm-Objekten, ihre Eigenschaften und die Aktionen geht, die mit ihnen ausgeführt werden können.

Besonders in der Startphase eines Computerkurses ist der Einsatz nicht-elektronischer Unterrichtsmedien wie Punktschrift, Großdruck oder Hörcassetten wichtig. Gerade am Anfang verhält sich das Computersystem erfahrungsgemäß nicht immer so, wie dies der Benutzer erwartet. Dieses Phänomen kann aus einer gewissen Unsicherheit im Umgang mit der neuen Technik resultieren, zugleich aber auch eine solche Unsicherheit erzeugen oder verstärken. Um so wichtiger ist in dieser Situation die Möglichkeit, auf vertraute und "sichere" Medien zurückgreifen zu können.

Taktile Darstellungen können in diesem Zusammenhang gerade in der Anfangsphase bei bestimmten Zielgruppen nützlich sein, sollten aber nicht überbewertet werden. Letztlich ist für blinde Anwender weniger das optische Erscheinungsbild als vielmehr die Funktionalität der graphischen Programmelemente entscheidend.

Unterrichtsorganisation

Im Vorfeld der eigentlichen ComputerSchulung muss die Frage nach den geeigneten Hilfsmitteln geklärt werden. Dabei sind individuelle Aspekte und behinderungsspezifische Fragen ebenso zu berücksichtigen, wie Fragen des Arbeitsumfeldes und der Lernumgebung. Bei Sehbehinderten schließt dies insbesondere die visuelle Ergonomie des Arbeitsplatzes, Fragen der Beleuchtung oder der Blendfreiheit des Monitors, aber auch die Nutzung ergänzender optischer Sehhilfen ein. Für Problemstellungen dieser Art sollte eine Low-Vision-Fachkraft hinzugezogen werden.

Für einige Aspekte der Unterrichtsorganisation kann es naturgemäß keine pauschalen Empfehlungen geben, weil sich die Lernsituation beispielsweise in einer achten Sonderschulklasse natürlich gravierend von einer beruflichen Umschulungsmaßnahme unterscheidet.

Lerngruppen

Generell lässt sich sagen: Je kleiner die Lerngruppe ist - und je mehr damit die Möglichkeit besteht, auf den individuellen Lernfortschritt des Einzelnen einzugehen, - um so schneller und sicherer wird der Lernerfolg erzielt. Denkbar ist durchaus auch eine Mischung aus Theoriephasen, die in einer größeren Gruppe stattfinden, und Praxisphasen, bei denen die Gruppengröße möglichst klein sein sollte.

Da - wie bereits ausgeführt - die Schulungsinhalte und Arbeitsmethoden teilweise stark von den verwendeten Hilfsmitteln abhängen, sollten PC-Anfängerkurse grundsätzlich nur in hilfsmittelhomogenen Gruppen stattfinden.

Ausbildungsplan

In der beruflichen Bildung wird häufig nur eine Einzelschulung in Frage kommen. Hier sollte vor Beginn der Schulungsmaßnahme ein individueller Ausbildungsplan entworfen werden. Dieser sollte einen Lernzielkatalog enthalten, der auf die besonderen beruflichen und persönlichen Anforderungen zugeschnitten ist. Die einzelnen Phasen der Ausbildung sollten in einem gegliederten Zeitraster festgelegt werden. Im Ausbildungsplan sollten geeignete Überprüfungsmethoden aufgeführt werden, mit denen am Ende eines jeden Ausbildungsabschnitts der objektive Lernerfolg fest-gestellt wird. Ein solcher Ausbildungsplan kann dazu beitragen, die tatsächlich erbrachten Schulungsleistungen überprüfbar und transparent zu machen.

Bei der zeitlichen Einteilung der Schulungsmaßnahmen muss darauf geachtet werden, dass zwischen den Phasen, in denen neue Inhalte vermittelt werden, genügend Übungs- und Praxisphasen eingeplant werden, um das Erlernte zu festigen. Crash-Kurse mit mehr als vier Theoriestunden in einem Block pro Tag sind in der Regel uneffektiv. Häufig ergeben sich bestimmte Fragen und Problemstellungen noch nicht gleich in der Anfangsphase eines Schulungsabschnitts, sondern erst im Laufe der anschließenden Trainingsphasen. Dies muss bei der zeitlichen Planung berücksichtigt werden.

Schulungsort und Schulungsgeräte

Gerade im beruflichen Bereich sollte - wenn eben möglich - die PC-Schulung an derselben Computeranlage stattfinden, die auch die spätere Arbeitsplatzausstattung darstellt. Die reale Arbeitsplatz-Situation und auch das EDV-Umfeld - wie z.B. die Vernetzung mit anderen Computern im Betrieb - müssen in die Schulung einbezogen werden.

In diesen Kontext gehört auch, relevante Personen aus dem Tätigkeitsumfeld der zu Schulenden in geeigneter Weise einzubeziehen. Bei Schülerinnen und Schülern können dies z.B. Familienmitglieder, Fachlehrer, Hilfskräfte, usw. sein, im Beruf die EDV-Fachabteilung des Betriebes, Arbeitskollegen, usw.

Qualifikation des Lehrpersonals

Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass für die informations- und kommunikationstechnische Bildung Blinder und Sehbehinderter Lehrpersonen benötigt werden, die in zweifacher Hinsicht hochqualifiziert sein müssen. Sie müssen zum einen weitgehende informationstechnische Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, andererseits müssen sie aber auch in der Lage sein, dieses Wissen pädagogisch umzusetzen, wobei die besonderen blinden- und sehbehindertenpädagogischen Aspekte einen zentralen Stellenwert einnehmen. Hierzu gehören beispielsweise Kenntnisse der Punktschriftsysteme bzw. Kenntnisse im Bereich "Low-Vision". Es sollte selbstverständlich sein, dass die Lehrkräfte selbst dasjenige leisten können, was sie anderen vermitteln wollen, d.h. beispielsweise, dass sie Windowsprogramme mit Screenreader und Sprachausgabe ohne Blick auf den Bildschirm bedienen können sollten.

Anzustreben ist in diesem Zusammenhang ein von Verbänden und staatlichen Stellen anerkanntes Aus- und Weiterbildungskonzept einschließlich eines Zertifikats, das die erforderliche Kompetenz auf dem notwendigen hohen Qualitätsniveau sicherstellt und dokumentiert.


Podiumsdiskussion: EDV-Schulungen für Blinde und Sehbehinderte

Teilnehmer: Ulrich Kalina (Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.), Hans-Jürgen Schwede (Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.), Torsten Weinbrecht (Audiodata GmbH), Hans-Herbert Suhling (DibS GmbH), Karsten Warnke (DBSV e.V.)

Moderation: Carsten Albrecht (DIAS GmbH)

Einleitung

In dem Vortrag von Herrn Kalina und Herrn Schwede wurden Qualitätsstandards für EDV-Schulungen gefordert. Bevor diese diskutiert werden, soll auf der Podiumsdiskussion zunächst geklärt werden: Wie sieht überhaupt der Schulungsmarkt in Deutschland aus? Welche Anbieter gibt es und wie wird geschult? Stellvertretend berichten Herr Weinbrecht von der Hilfsmittelfirma Audiodata, Herr Suhling von dem Schulungsunternehmen DibS und Herr Warnke vom DBSV über ihre Schulungsangebote:

Vorstellung unterschiedlicher Schulungsangebote

Herr Weinbrecht

Die Firma Audiodata führt hauptsächlich Einweisungen in die Hilfsmittel am Arbeitsplatz durch. In der Regel dauern diese nicht länger als 3 Tage, da ansonsten die Finanzierung durch die Kostenträger problematisch ist. Diese kurze Schulungszeit setzt voraus, dass der Anwender bereits über die notwendigen Fachkenntnisse verfügt und nur noch den Umgang mit dem speziellen Hilfsmittel erlernen muss. Personen ohne die notwendigen PC-Kenntnisse verweist Audiodata in der Regel an andere Schulungsanbieter, z. B. Berufsförderungswerke. Wie Herr Weinbrecht erläutert, erfolgt die Einweisung in das Hilfsmittel immer am Beispiel der Anwendungsprogramme und der konkreten Arbeitssituation. Ziel der Schulung ist, dass der Anwender in seiner Arbeitsumgebung erfolgreich arbeiten kann.

Im Privatbereich wird weniger geschult. Für die von den Krankenkassen finanzierten Vorlesesysteme ist eine halbtägige Einweisung inklusive Aufbau und Installation des Gerätes vorgesehen. Privatanwender anderer Hilfsmittel verzichten häufig auf die Schulungen, da diese selbst bezahlt werden müssen.

Herr Suhling

Im Anschluss stellt Herr Suhling das Schulungskonzept der Hamburger Firma DibS vor. Herr Suhling initiierte 1996 ein Projekt zur Qualifikation von Personen, die von Arbeitsplatzverlust bedroht waren, da sie nicht an standardisierten Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen konnten. Auch heute werden in der Firma DibS neben blin-den und sehbehinderten Anwendern ebenfalls Menschen mit anderen Handicaps geschult.

Bei DibS wird die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer direkt für den Arbeitsplatz und die dortigen Aufgaben ausgebildet. Diese Schulungen sind im Vergleich zu den Einweisungen der Produktanbieter allerdings erheblich umfangreicher. Ziel ist die Vermittlung von Fertigkeiten im Umgang mit Anwendungsprogrammen. So dauert z. B. ein Excel-Kurs für Braillezeilennutzer ca. 40 Unterrichtsstunden.

Maßgabe ist, dass nicht länger als 3 Stunden am Stück, meistens einmal pro Woche, geschult wird. Die Teilnehmer sollen dann das Gelernte eigenständig wiederholen und beim nächsten Treffen Nachfragen stellen.

Finanziert werden die Ausbildungsmaßnahmen der Firma DibS aus dem Europäischen Sozialfond.

Karsten Warnke

Herr Warnke erläutert, dass auch Verbände und Vereine PC-Schulungen durchführen. Die bestehenden Angebote und Konzepte sind jedoch sehr unterschiedlich, was laut Herrn Warnke aber auch für alle anderen Anbieter gilt.

Herr Warnke betont, dass die Selbsthilfe zwar einzelne Angebote kennt, insgesamt aber keinen Überblick über den aktuellen Schulungsmarkt besitzt. Wichtig wäre es, mehr Transparenz zu schaffen, also die bestehenden Angebote aufzulisten, öffentlich zu machen und zu vergleichen.

Herr Warnke führt aus, dass die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe die von Herrn Kalina und Herrn Schwede vorgetragenen Forderungen nach einheitlichen Qualitätskriterien und einem Zertifikat unterstützt. Diese Forderungen sind im FIT (Fachausschuss der Blinden- und Sehbehindertenverbände für IT-Systeme) bereits verabschiedet worden.

Beurteilung der bisherigen Schulungsqualität

Herr Warnke

Herr Warnke antwortet auf die Frage, ob überhaupt ein ausreichendes Angebot an PC-Schulungen existiert und ob sich aus Sicht der Selbsthilfe Qualitätsunterschiede zwischen den Trägern feststellen lassen, folgendermaßen:

Seiner Meinung nach kommt es letztendlich auf die Situation des Einzelnen an, ob er Zugang zu qualitativ hochwertigen Schulungen bekommt. Entscheidend ist z. B. der Wohnort oder ob die Schulung im Rahmen einer Reha-Maßnahme oder im privaten Bereich stattfinden soll.

Die Schulungen in Rehabilitationseinrichtungen, z. B. Blista, Berufsförderungs- oder -bildungswerke, gelten allgemein als sehr professionell. Hier werden Strukturen vorgehalten, die unter anderem umfassende Low-Vision-Beratungen möglich machen. Entsprechende Angebote kann man von Hilfsmittelfirmen nicht erwarten.

Herr Warnke gibt jedoch zu bedenken, dass das Schulungsangebot oftmals an ein Hilfsmittel gekoppelt ist. Kennt sich der Anwender nicht aus bzw. tauscht er sich nicht mit anderen aus, ist ein Reinfall durchaus möglich.

Herr Suhling

Nach Meinung von Herrn Suhling sind die vorgestellten Schulungsangebote nicht unbedingt vergleichbar. So schult DibS am Arbeitsplatz für konkrete Arbeitsaufgaben. Vor der Maßnahme steht eine genaue Bedarfsermittlung: welche Vorstellungen hat der Arbeitgeber, was soll der behinderte Mitarbeiter genau leisten? Nachdem dieses abgeklärt ist, wird die Schulung individuell und zielgenau durchgeführt. Es handelt sich letztendlich eher um ein Coaching am Arbeitsplatz, dass eine gänzlich andere Vorgehensweise erfordert, als bei allgemeinen Schulungsmaßnahmen, wie sie z. B. die Berufsförderungswerke durchführen.

Herr Kalina

Herr Kalina weist darauf hin, dass es schwierig ist, Bildungsangebote in ihrer Qualität zu messen. Als erster Schritt müssen deshalb Kriterien entwickelt werden: was will man messen und wie soll es gemessen werden?

Das aktuelle Dilemma liegt laut Herrn Kalina darin, dass diffus ist, was eigentlich geschult werden muss und welche Inhalte in welcher Zeit vermittelt werden können.

Sein Vorschlag ist es, Schulungs-Module mit festgelegten Zeitfenstern zu entwickeln, die dann zu einem Curriculum zusammengeführt werden.

Benötigen wir einheitliche Qualitätsstandards? Wird die Möglichkeit einer Zertifizierung gewünscht?

Herr Weinbrecht

Herr Weinbrecht weist darauf hin, dass eine Zertifizierung für die Firma Audiodata dann wichtig wäre, wenn die Kostenträger darauf bestehen. Ansonsten wären die zusätzlichen Kosten aus unternehmerischer Sicht nicht sinnvoll. Herr Weinbrecht sieht aber auf jeden Fall die Notwendigkeit, nachvollziehbar und nachweisbar zu schulen. Der Lernende hat Anrecht auf einen Qualifikationsnachweis, den er dem Arbeitgeber oder Kostenträger vorlegen kann.

Herr Suhling

Da es bislang keine Standards gibt, hat Herr Suhling selber Standards "gestrickt" und spezielle Schulungsmodule entwickelt. Herr Suhling betont, dass diese jedoch kontinuierlich modifiziert werden müssen, da sich die Anforderungen am Arbeitsplatz ständig verändern. DibS führt eigenständig Qualitätskontrollen durch. Ungefähr drei Monate nach Ende der Schulung werden die Teilnehmer befragt, wie sie mit der realen Arbeitssituation zurechtkommen. Die Ergebnisse sind hier meistens sehr gut. Auf der anderen Seite wird durch die Veränderungen am Arbeitsplatz aber auch eine kontinuierliche Qualifizierung notwendig. Die Aufgaben werden komplexer, es werden u. a. Schlüsselqualifikationen gefordert. Entsprechend entstehen neue Schulungsinhalte, wie z. B. das Kommunikationstraining. Dies gilt auch für Teilnehmer, die nicht an den standardisierten betrieblichen Weiterbildungsangeboten teilnehmen können.

Herr Schwede

Herr Schwede stellt richtig, dass Blista und die Berufsförderungswerke neben allgemeinen Einführungskursen in die Anwendungsprogramme auch arbeitsplatzbezogene Schulungen durchführen. Hierbei handelt es sich in der Regel um Einzelschulungen, und auch hier wird ein individuelles Schulungsziel festgelegt.

Herr Schwede betont, dass es bei stationären Maßnahmen zum Standard geworden ist, eine Reha-Planung durchzuführen, bei der Module mit entsprechendem Zeitaufwand festgelegt werden. Notwendig ist es auch, Messpunkte zu definieren, die eine Aussage erlauben, ob die Schulungsziele erreicht sind und das nächste Modul anschließbar ist. Nach Beendigung der Maßnahme wird ein Schulungsbericht erstellt. In dem Schulungsangebot, das von der Blista erstellt wird, ist festgehalten, welche Inhalte in welcher Zeit geschult werden sollen. Danach richten sich dann auch der Schulungsbericht und die Kostenabrechnung.

Standards in diesem Bereich wären wichtig, damit blinde und sehbehinderte Menschen die Angebote unterschiedlicher Bildungsträger vergleichen könnten. Bislang, so Herr Schwede, sind die Gesetze des Marktes durch die Kostenträger ausgehebelt. Die Betroffenen selbst werden nicht informiert und erhalten teilweise nicht einmal einen Abschlussbericht.

Herr Schwede hebt abschließend hervor, dass Qualitätsstandards in erster Linie dazu dienen sollen, Schulungsinhalte festzulegen und zu sichern.

Umsetzungschancen

Im Zentrum der von Herrn Kalina und Herrn Schwede vorgetragenen Forderungen steht die Qualifikation des Lehrpersonals. Wer käme für die Ausbildung der Ausbilder in Frage? An die Mitarbeiter der Blista wird die Frage gestellt, ob sie entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen durchführen.

Herr Schwede

Anfang der 90er Jahre wurde ein Projekt zur Ausbildung Blinder und Sehbehinderter zum Rehabilitationslehrer, u.a. für den Bereich EDV/Elektronische Hilfsmittel, initiiert. Es wurden zwei Kurse durchgeführt, anschließend gab es leider kein Interesse mehr. Ende der 90er Jahre wurden auf Anfragen von Arbeitgebern und anderen Bildungseinrichtungen EDV-Lehrer für Schulungen für Blinde und Sehbehinderte qualifiziert.

Es handelte sich nicht um eine systematische Maßnahme, sondern es wurden individuelle Angebote erstellt. Die Schulungen dauerten ca. 2-3 Wochen, ein Zertifikat wurde nicht vergeben.

Herr Warnke

Herr Warnke gibt zu bedenken, dass die Finanzierung einer Ausbildung der Ausbilder zur Zeit nicht einfach ist. Wichtig wäre, dass sich die Beteiligten zusammenschließen und an einem Strang ziehen. So könnten gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, um nach Finanzquellen zu suchen und z. B. Projektmittel zu beantragen.

Herr Suhling

Angesichts seiner Erfahrungen aus der Berufswelt zieht Herr Suhling den Nutzen einer Zertifizierung der Ausbilder in Frage. Die Anforderungen an Arbeitsplätze sind sehr unterschiedlich und ändern sich ständig. Ein "guter" Trainer muss die Software / Programme schulen können, die neu im Betrieb sind. DibS hält viele Trainer mit un-terschiedlichen Spezialgebieten vor, notfalls werden auch Experten hinzugezogen, die sich nicht mit der Braillezeile auskennen. Ein Zertifikat zeigt also nicht, ob ein Trainer tatsächlich die Inhalte schulen kann, die erforderlich sind.

Herr Schwede

Herr Schwede antwortet hierauf, dass die methodisch-didaktischen Besonderheiten und die entsprechenden Arbeitstechniken bei der Schulung von Blinden und Sehbehinderten zertifiziert werden sollen. Die Fachkenntnisse seien voraussetzbar.

Fragen aus dem Publikum

Hilfsmittelanpassung am Arbeitsplatz

Frau Schulze vom Berufsförderungswerk Halle spricht an, dass das BFW auch Einzelschulungen durchführt. Bei Schulungen am Arbeitsplatz ist ihre Erfahrung, dass häufig in den Arbeitsprozess eingegriffen werden muss, z. B. um Vorlagen zu verändern. Oft muss die Schulung sogar unterbrochen werden, um spezielle Anpassungen zu leisten. Weiterhin merkt Frau Schulze an, dass das BWF Halle zertifiziert ist und dadurch auch verpflichtet, Schulungen mit einem Zertifikat für die Schüler zu be-enden.

Herr Schwede kennt die beschriebene Problematik der Schulungsunterbrechungen am Arbeitsplatz. Um die Betroffenen nicht um Schulungszeit zu bringen, besteht die Möglichkeit, die Schulung offiziell, mit Bericht an die Kostenträger, zu unterbrechen.

Qualifizierung des Schulungspersonals

Herr Weinbrecht beantwortet eine Frage aus dem Publikum, die sich auf die Qualifizierung der Mitarbeiter der Hilfsmittelanbieter bezieht.

Unter den Schulungskräften von Audiodata sind ausgebildete Informatiker sowie Sozialpädagogen zu finden. Ein Mitarbeiter besitzt ein Zertifikat von Microsoft MCSE+I (Microsoft Certified Systems Engineers + Internet). Dieses sehr kostenintensive Zertifikat muss alle 1 - 2 Jahre erneuert werden, ebenso wie die vorausgehende Ausbildung. Der Mitarbeiter unterrichtet die Kollegen über Neuigkeiten und führt interne Weiterbildungen durch.

Verbraucherschutz

Unter anderem kam aus dem Publikum die Frage, was man als Betroffener machen kann, wenn man mit einer Schulung nicht zufrieden ist. Herr Warnke antwortet, dass im Rahmen der Gewährleistungen Nachbesserungen gefordert werden sollten. Sinnvoll ist es auch, die Verbände zu informieren. Leider erfahren diese oft nichts von bestehenden Problemen. Laut Herrn Warnke müssen sich die Verbände als Verbraucherschutzorganisationen begreifen und diese Fälle aufgreifen. Sie können dann Druck auf den Schulungsanbieter ausüben.

Europäischer Computerführerschein

Gefragt wurde auch nach einer Beurteilung des Europäischen Computerführerscheins. Dieser erscheint Herrn Kalina als Grundcurriculum sehr interessant und wird demnächst auch Thema des DVBS / AG EDV sein.

Zusammenfassung der Diskussion

  • Voraussetzungen für die erfolgreiche Nutzung von Computerhilfsmitteln sind die fachkundige Einweisung in die Hilfsmittel sowie Schulungen zur Nutzung der am Arbeitsplatz eingesetzten Anwendungsprogramme.
  • Unter dem Begriff "EDV-Schulungen für Blinde und Sehbehinderte" werden sehr heterogene Schulungsangebote zusammengefasst. Diese reichen von der Einweisung in die Hilfsmittel, über die Vermittlung von Basiskenntnissen im Umgang mit Hilfsmitteln und wichtigen Anwendungsprogrammen im Rahmen berufsfördernder Ausbildungsangebote, bis hin zu Schulungen am Arbeitsplatz zum Erlernen betriebsspezifischer Anwendungen. Sie unterscheiden sich erheblich hinsichtlich Umfang und Qualität. Die Qualität und der Zugang zu Schulungen ist wesentlich davon abhängig, welcher Kostenträger zuständig ist.
  • Der Schulungsmarkt in Deutschland ist nicht transparent; es ist nicht bekannt, welche Anbieter es gibt und was diese leisten. Ebenso fehlt es an Anforderungs- bzw. Qualitätskriterien und damit an der Möglichkeit, Schulungsangebote vergleichbar zu machen. Um Transparenz zu schaffen, müssten unter Berücksichtigung unterschiedlicher Schulungsangebote festgelegt werden, welche Inhalte zu einem Curriculum gehören und in welchem Zeitrahmen diese vermittelbar sind.
  • Die Möglichkeiten zur Standardisierung von Schulungsinhalten wird kontrovers diskutiert. Gegen eine Standardisierung spricht, dass die Anforderungen am Arbeitsplatz (Anwendungsprogramme, betriebsinterne Vorlagen usw.) und die Hilfsmitteltechnologie (Berücksichtigung von Art und Umfang der Beeinträchtigung) sehr unterschiedlich sind und sich kontinuierlich verändern. Andererseits wäre es wünschenswert, Transparenz und Vergleichbarkeit von Angeboten herzustellen.
  • Gefordert wird die Möglichkeit zur Zertifizierung des Lehrpersonals. Unter der Voraussetzung entsprechender Fachkenntnisse sollen die methodisch-didaktischen Besonderheiten bei der Schulung von Blinden und Sehbehinderten zertifiziert werden. Noch nicht geklärt ist die Frage der Umsetzung; so müsste ein Qualifizierungsangebot für die Ausbilder eingerichtet und finanziert werden.

Konsequenzen aus der Diskussion

  • In einem ersten Schritt zur Verbesserung der Transparenz könnten die Schulungsanbieter erfasst und mit ihren Angeboten aufgelistet werden. Dies wäre eine Grundlage für das weitere Vorgehen und würde für die Hilfsmittel-Anwender eine Informationsbasis zum Thema PC-Schulung darstellen.
  • Weiterhin müsste das Marktangebot beschrieben werden. Hierzu müssten relevante Kriterien gefunden werden, z.B. Zielgruppen, Qualifikation der Trainer.
  • Gemeinsam mit unterschiedlichen Schulungsanbietern müsste dann geprüft werden, für welche Angebote und in welchem Maße eine Standardisierung der Schulungsinhalte und -materialien sinnvoll wäre und wie sich eine mögliche Zertifizie-rung umsetzen lassen könnte. INCOBS kann im Rahmen der Projektförderung zu dem ersten Punkt, der Auflistung von Schulungsanbietern, beitragen. So können auf dem INCOBS-Internetportal die Adressen von Anbietern gesammelt und aufgelistet werden.

Zusammenfassung der Veranstaltung

Neben der Vorstellung des INCOBS Projekts und einem Eindruck von der "Testwerkstatt" haben besonders die drei Podiumsdiskussionen einen spannenden Einblick in die Praxis rund um das Thema Computerhilfsmittel geboten.

Die Expertendiskussionen haben gezeigt, dass es im Bereich Hilfsmittel und Computerarbeitsplätze für Blinde und Sehbehinderte weiterhin großen Handlungsbedarf gibt:

  • Technologische Entwicklung / "Design for all": Neben der Weiterentwicklung assistiver Technologien und deren Anpassung an aktuelle technische Standards besteht insbesondere im Bereich der barrierefreien Produktgestaltung erheblicher Handlungsbedarf. Hier geht es, unterstützt durch gesetzliche Vorgaben und entsprechende Normungsaktivitäten, zukünftig darum, Endgeräte nutzerfreundlicher zu gestalten und standardisierte Schnittstellen für den Einsatz assistiver Technologien zu schaffen.
  • Hilfsmittelberatung: Ein flächendeckendes Netz an neutralen Beratungsstellen zu elektronischen Hilfsmitteln gibt es bislang nicht. Um so mehr gilt es, die bestehenden Angebote aufzulisten, zu vernetzen und den Erfahrungsaustausch der Berater/innen zu ermöglichen.
  • EDV-Schulungen: An der notwendigen Transparenz fehlt es im Bereich der EDV-Schulungen für Blinde und Sehbehinderte. Wer bietet Schulungen und Einweisungen an? Welche Inhalte können in welcher Zeit geschult werden? Welche Angebote und Kostenvoranschläge sind seriös? Gefordert werden hier bessere Überprüfungsmöglichkeiten und mehr Standardisierung.

Im Rahmen der Möglichkeiten von INCOBS werden wir versuchen, gemeinsam mit allen Beteiligten die genannten Themen voranzubringen. Wie die Auswertung der Feedback-Fragebögen zum durchgeführten Workshop zeigt, wünscht sich die Mehrzahl der Teilnehmer auch zukünftig Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch in Form von Workshops. Bei einer nächsten Tagung wäre es daher sinnvoll, eines der angesprochenen Themen, z.B. Beratung zu Hilfsmitteln, auf die Tagesordnung zu setzen.

Wie aufgefordert, wird INCOBS zunächst auch in dem Bereich "Beratung" aktiv werden und in Absprache mit den Beratungsstellen entsprechende Angebote auf dem INCOBS-Internetportal auflisten. Diesbezüglich werden wir nochmals auf die Teilnehmer des Workshops zurückkommen.

Abschließend möchten wir uns bei allen Teilnehmenden für die vielen Anregungen und interessanten Beiträge bedanken. Unser Dank gilt vor allem auch den Experten aus den Podiumsdiskussionen, die einen informativen Einblick in ihre Arbeit gaben, sowie den Hilfsmittelfirmen, die diese Tagung mit ihren Ausstellungen begleitet haben.



nach oben

Letzte Änderung: 19.07.2010 | © 2006 - 2013 DIAS GmbH | Impressum | Barrierefrei?