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Mobil telefonieren für Blinde und Sehbehinderte: Was gibt's Neues?

von Michaela Freudenfeld, INCOBS 2007

Es gibt in Deutschland seit August 2006 mehr Handyanschlüsse als Einwohner. Das liegt unter anderem an einem ungebrochenen Trend zum Zweithandy. Ob das auch für Blinde und Sehbehinderte gilt, wissen wir nicht. Sicher ist aber, dass das Handy auch für Blinde und Sehbehinderte zu einem alltäglichen Gebrauchsgegenstand geworden ist. Wer will, kann dank spezieller Hard- und Softwareentwicklungen mittlerweile auch weit mehr Handyfunktionen nutzen als "nur" telefonieren. Welche Möglichkeiten blinde und sehbehinderte Handynutzer haben und wie der aktuelle technische Stand aussieht, darüber informiert INCOBS mit regelmäßigen Tests und der Erprobung von Marktneuheiten.

Zweiter INCOBS-Test herkömmlicher Handys

Herkömmliche Handys ohne Zusatzsoftware sind immer noch die günstigste Variante und ermöglichen zumindest die Grundfunktion eines Handys, das Telefonieren.

Bereits zum zweiten Mal hat INCOBS in Kooperation mit der Stiftung Warentest im Frühjahr 2006 handelsübliche Geräte auf Zugänglichkeit geprüft.

Bei der Vorauswahl der neun Prüfhandys wurde deutlich, dass es einen neuen Markttrend gibt: Die sogenannten Einsteiger- und Einfach-Handys. Gemeint sind Mobiltelefone für eine Zielgruppe, die die Funktionsvielfalt der aktuell erhältlichen Handys nicht benötigt oder damit sogar überfordert ist. Einsteiger-Handys sind spartanisch ausgestattet und haben in der Regel klare Tastaturen. In unseren Testergebnissen landen sie vor allem bei blinden Nutzern auf den vorderen Plätzen.

Herkömmliche Handys für blinde Nutzer

Vor allem die Einsteigermodelle Siemens A70, A65 und das Nokia 6030 fielen bei dieser Zielgruppe positiv auf. Verwunderlich ist das nicht. Klar strukturierte Tastaturen sind für Blinde das Hauptkriterium, um ein herkömmliches Handy nutzen zu können. Mit deutlich voneinander abgegrenzten Tasten und einer eindeutigen Markierung auf einer der Zifferntasten (in der Regel auf Ziffer Fünf) ist eine schnelle Orientierung möglich. Ein gut zu fühlender Druckpunkt beim Tastendrücken gibt dem Anwender die Gewissheit, dass seine Eingabe erfolgreich war.

Einige weitere Funktionen, wie z.B. das Einstellen von Klingeltönen oder deren Lautstärke, sind für blinde Anwender dann möglich, wenn die Menüführung übersichtlich strukturiert ist - soll heißen, wenn ein Menü über wenige Einträge verfügt, deren Reihenfolge schnell auswendig gelernt werden kann. Für Einfach-Handys ist das ein Erkennungsmerkmal. In unserem Test erfüllten bis auf das Siemens M75 und das Sagem VS1 alle sieben übrigen Handys dieses Kriterium.

Bei allen Test-Handys wurden feste Start- und Endpunkte in den Untermenüs vermisst. Das ist ein für Blinde ärgerlicher Trend, da der Anwender seine Position im Menü so nur durch konzentriertes Abzählen erfährt und die Orientierung entsprechend leicht verloren gehen kann.

Herkömmliche Handys für sehbehinderte Nutzer

Die einfachen Menüs und klaren Tastaturen der Einsteiger-Handys bewerten auch Sehbehinderte positiv. Ungünstig bleibt aber auch bei diesen Modellen, dass die Displays meist zu klein und die Einstellmöglichkeiten für die Darstellung extrem eingeschränkt sind. Die Lesbarkeit der Displays ist nach wie vor mit starken Einschränkungen verbunden und sorgt insgesamt für ein eher enttäuschendes Fazit des Tests aus Sicht der Sehbehinderten. Mehr als Telefonieren ist mit herkömmlichen Handys immer noch schwierig.

Für sehbehinderte Nutzer dennoch positiv erwähnenswert ist das Einsteiger-Modell A65 von Siemens. Es hat in dieser Zielgruppe aufgrund der gut erfassbaren Tastatur und einem einfachen Menü am besten abgeschnitten. Das Display wurde von den Testern aber als zu klein bemängelt.

Wie auch schon im ersten INCOBS-Handy-Test ist uns wieder ein Klapphandy von Samsung positiv aufgefallen. Das Modell SGH z140v belegte in diesem Test Platz 2. Es verfügt über eine außergewöhnlich große Schrift, wenn man eine Telefonnummer eintippt. Vergleichsweise gut wurden auch die Farbkontraste des Displays beurteilt. Die Tastatur ist ein bisschen zu flach, das Menü aber ist eingängig strukturiert. Wer sich über Töne orientiert, wird ausführlich begleitet.

Mehr Möglichkeiten für Sehbehinderte

Und wenn man mehr von seinem Handy will als nur telefonieren? Noch im letzten Jahr gab es diesbezüglich für sehbehinderte Handynutzer guten Grund, sich zu beschweren. Die ersten speziellen Mobiltelefon-Lösungen wie etwa Talks, Mobile Speak oder das Owasys orientierten sich hauptsächlich an den Bedürfnissen Blinder. Vor allem in Sachen Displayvergrößerung sah es zunächst düster aus. Doch das hat sich im Jahr 2006 verändert. So haben die Entwickler der Sprachsoftware Talks zu Beginn dieses Jahres das Modul Zooms auf den deutschen Markt gebracht: Eine Vergrößerungssoftware für das Handydisplay. Und erste Eigenentwicklungen wie zum Beispiel "Katharina das Große" machen Schlagzeilen.

Ein kleiner Streifzug durch die Produktneuheiten aus Perspektive sehbehinderter Handynutzer gibt Aufschluss.

Die erste Zusatzsoftware für Sehbehinderte: Zooms

Zooms vergrößert den gesamten Inhalt eines Displays ähnlich wie eine Lupe. Man kann unterschiedliche Vergrößerungsstufen wählen, die Displayfarben anpassen, das Display in Fenster aufteilen oder die Scrollgeschwindigkeit einstellen. Je nach Vergrößerungsstufe ist der Platz auf dem Display begrenzt, daher wird der Displayinhalt in der Regel gescrollt. Je höher die Vergrößerungsstufe, desto mehr Zeit und Geduld muss der Anwender mitbringen.

Wer einen schnelleren Zugriff möchte, kann Zooms auch mit Talks kombinieren. So kommt man meist schneller zu Infos.

Potentielle Anwender sollten Zooms auf jeden Fall zunächst in Ruhe ausprobieren und auch auf ihre Bedürfnisse bei den Farbeinstellungen achten.

Zooms wird als Zusatzsoftware auf handelsüblichen Geräte installiert. Aber genau wie bei zusätzlicher Sprachsoftware ist auch Zooms nicht auf jedem Handy installierbar. Voraussetzung ist ein großer Speicher und ein Symbian-Betriebssystem. Nutzer sollten wie bei jedem herkömmlichen Gerät darauf achten, ob sie mit der Tastatur und der Menüführung gut zurecht kommen. Welche Geräte in Frage kommen, weiß in der Regel der Softwareanbieter.

Katharina das Große

Was für blinde Nutzer das displaylose Telefon Owasys ist, ist seit diesem Sommer für Sehbehinderte "Katharina das Große". Katharina wurde von der fitage GmbH für Handynutzer mit starken Seheinschränkungen und für Senioren entwickelt. Auch mit dieser Neuheit hat sich INCOBS genauer befasst.

Katharina das Große ist, wie der Name schon sagt, ein sehr großes Handy. Dafür hat es aber auch sehr große Tasten mit einer gut erfassbaren Tastenbeschriftung. Die Menüstruktur ist einfach und übersichtlich, wohl auch, weil der Funktionsumfang nicht weit übers Telefonieren und Verschicken und Empfangen von SMS hinausgeht.

Das im Verhältnis nicht ganz so große Display ist im Normalzustand schwarz auf grau gehalten. Die große und deutliche Schrift lässt sich aber auch invertiert darstellen. Im Test bemängelt wurde an dieser Stelle der etwas schwache Kontrast und eine noch verbesserungswürdige Beleuchtung.

Katharina das Große ist empfehlenswert für Nutzer, die nur telefonieren und SMS-Funktionen nutzen wollen und denen Handys ansonsten zu klein und zu "fummelig" sind. Ungeeignet ist Katharina für all diejenigen, die ihr Handy gern in der Hosentasche transportieren. Ansonsten erfüllt es die Grundfunktionen eines Gerätes zuverlässig und ist überaus einfach bedienbar.

Neueste Sprachsoftware-Entwicklungen für Blinde

Gab es vor drei Jahren nur eine Sprachsoftware für den Nokia Communicator, so gibt es auf dem deutschen Markt mit Talks, Mobile Speak und ADnota mittlerweile drei Programme, die auf handelsüblichen Handys installiert werden können. Auch hier ist Voraussetzung, dass die Handys mit dem Symbian-Betriebssystem arbeiten und über ausreichend Speicher (32 MB Telefonspeicher plus 32 bis 64 MB Speicherkarte) verfügen. Anwender können mit Hilfe dieser Programme nahezu alle Funktionen eines modernen Handys nutzen. Hierzu zählen z.B. SMS, Kalender, Profile oder Aufgabenlisten.

In unseren letzten Tests der drei erhältlichen Sprachsoftware-Produkte hat sich aber auch gezeigt, dass es bei allen drei immer noch Konflikte zwischen Sprachausgabe und den handyeigenen Sounds gibt. Ist z.B. das Kalendersignal aktiv, kann die Sprachausgabe nicht ansagen, was auf dem Bildschirm steht. Das ist lästig, wenn man wissen möchte, an welchen Termin man gerade erinnert wird. Der auffälligste Unterschied zwischen den einzelnen Produkten liegt in den standardmäßig mitgelieferten Sprachausgaben. Während Talks die bei blinden relativ bekannte Sprachausgabe Eloquence nutzt, werden bei ADnota und Mobile Speak menschlich klingende Stimmen eingesetzt. Bei Mobile Speak ist es die Sprachausgabe Babel, Stimme "eVa" und bei ADnota handelt es sich um eine Sprachausgabe der Schweizer Firma SVox. Gerade für Einsteiger könnten diese Sprachausgaben angenehmer klingen. Weitere Unterschiede gibt es bei der Bedienung der Programme. Bietet Talks mittlerweile viele Einstellungsmöglichkeiten zur individuellen Anpassung des Programms selbst, kann bei ADnota derzeit nur die Sprechgeschwindigkeit und die Lautstärke der Sprachausgabe eingestellt werden.

Mittlerweile können blinde Handynutzer auch unterwegs im Internet surfen: Die neuen Versionen von Talks und Mobile Speak sind WAP- und HTML-fähig. Auch der E-Mail-Verkehr ist jetzt mit diesen beiden Sprachsoftware-Produkten möglich.

ADnota und Mobile Speak bieten interessante Zusatzprogramme:

  • Im Liferumfang von Mobile Speak ist u.a. ein Klangrekorder enthalten, dessen Bedienung durch vom Hersteller geschickt gewählte Tastenbefehle speziell auf die Bedürfnisse blinder Anwender angepasst wurde.
  • Der ADnota merker ist ein Notizbuch, in dem Sprachaufzeichnungen in Abschnitte aufgegliedert werden können, so dass bestimmte Passagen schnell aufzufinden sind. Ferner kann eine Notiz einem Termin zugeordnet werden, so dass diese zu hören ist, wenn der Termin eintritt.

Unser Fazit

Egal ob sehbehindert oder blind, wer nur telefonieren will, ist mit einem ganz normalen Handy aus dem herkömmlichen Marktangebot bestens bedient. Blinde und Sehbehinderte profitieren darüber hinaus vom neuen Trend der Einfach-Modelle.

Für Sehbehinderte wurden dieses Jahr durch die erste Zoomsoftware sowie spezieller Geräteentwicklungen Handyfunktionen nutzbar, die über das Telefonieren hinausgehen. Allerdings sind die neuen Speziallösungen Zooms und Katharina noch verbesserungswürdig.

Mit drei Screenreadern für Symbian-Handys hat der blinde Anwender die Qual der Wahl. Die meisten Funktionen eines Handys können mit allen drei Programmen uneingeschränkt genutzt werden. Die auffälligsten Unterschiede liegen in den mitgelieferten Sprachausgaben. Mobil im Internet surfen kann man sowohl mit Talks als auch mit Mobile Speak.

In welche Richtung der einzelne sehbehinderte oder blinde Handynutzer geht, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen und Ansprüchen an ein Handy, aber auch immer ein wenig Geschmackssache. Dass er mittlerweile diese Auswahl hat, ist erfreulich und deutet in die richtige Richtung.


Auf dieser Seite kommen 4 Begriffe vor, die in unserem Wörterbuch erläutert werden: Inverse Farben, Sprachausgabe, Vergrößerungssoftware und Zugänglichkeit.


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Letzte Änderung: 03.06.2011 | © 2006 - 2013 DIAS GmbH | Impressum | Barrierefrei?