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Kostendämpfung im Gesundheitswesen und das Medizinproduktegesetz - Auswirkungen auf die Hilfsmittelversorgung Blinder und Sehbehinderter

Thomas Lilienthal, 1999

Grundsatzreferat für das Symposium

"Gewährung von Hilfsmitteln und Beratungsleistungen für Sehbehinderte und Blinde durch die Krankenkassen: Bestandsaufnahme und Perspektiven"

des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) am 10. Juni 1999 in Marburg/Lahn

1. Einleitung

Zwei Ereignisse haben die Qualität der Hilfsmittelversorgung verändert und werden dies in Zukunft weiter tun. Bei diesen Ereignissen handelt es sich um die Maßnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen der letzten Jahre und um das kürzlich in Kraft getretene Medizinproduktegesetz (MPG).

Strukturreformen im Gesundheitswesen

Eine wesentliche gesundheitspolitische Zielsetzung ist die Beitragsstabilität der gesetzlichen Krankenkassen. Maßnahmen zur Umsetzung dieses Ziels erfolgten vor allem in drei Schritten , die auch entsprechende Auswirkungen auf die Hilfsmittelversorgung haben. Mit den im Sommer 1997 verabschiedeten Neuordnungsgesetzen werden Kranken- und Pflegekassen auf den Grundsatz der Beitragsstabilität bzw. "konditionierten Beitragssatzerhöhung" verpflichtet und damit zur verstärkten Ausschöpfung aller Wirtschaftlichkeitsreserven angehalten. Auch in der Vergangenheit hat der Gesetzgeber mit dem Ziel der Kostendämpfung und der Ausnutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven reglementierend in den Gesundheitsbereich eingegriffen. Zum Objekt von Kostendämpfungsmaßnahmen wurde die Heil- und Hilfsmittelversorgung vor allem auf Grund der überproportionalen Ausgabenentwicklung. Bei einem Anteil von ca. 4 % an den Gesamtausgaben aller GKV-Leistungen stiegen die Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel 1997 um mehr als 11 %.

Hohe Wellen schlagen in diesen Tagen die Vorstellungen des Gesundheits-ministeriums zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Explizite Hinweise zur Einbeziehung der Hilfsmittelversorgung sind im aktuellen Referentenentwurf zur GKV-Gesundheitsreform 2000 bisher nicht zu finden. Kernpunkt dieser Reform ist die Stabilisierung der GKV-Beitragssätze durch die Einführung eines Globalbudgets, dessen Fortschreibung an die Entwicklungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen gekoppelt wird. Die Verantwortung für die Einhaltung des Globalbudgets wird bei den einzelnen Kassen liegen, die selbst darüber entscheiden sollen, wie sie ihr Budget sektorübergreifend einsetzen. Welche Auswirkungen dieses Konzept für die Hilfsmittelversorgung haben könnte, ist derzeit ebenso offen wie die Frage, ob eine explizite Auseinandersetzung mit der Hilfsmittelthematik im Gesetzentwurf erst noch bevorsteht.

Ich werde mich in meinen Ausführungen auf die Folgen der vorangegangenen Strukturreformen des Gesundheitswesens für die Hilfsmittelversorgung beschränken. Hier wurden mit dem Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), mit Festbetragsregelung, Vertragspreissystem und Wiedereinsatz Instrumente geschaffen, die es den Kassen ermöglichen sollen, Wirtschaftlichkeitsreserven gegenüber Hilfsmittel- und Dienstleistungsanbietern auszuschöpfen, ohne das Ziel einer bedarfsgerechten Versorgung der Versicherten aus dem Blick zu verlieren. Auch das vom Bundesversorgungsamt der Kassen zur Anwendung empfohlene und u.a. von der Barmer Ersatzkasse eingeführte Konzept der "Fallkostenpauschale" führt zu einschneidenden Änderungen der Hilfsmittelversorgung.

Klar ist, daß sich die beteiligten Gruppen auf Grund dieses "Strukturwandels" umstellen müssen. Kranken- und Pflegeversicherung, aber auch Hilfsmittelhersteller und Dienstleister setzen sich - jeder aus Sicht seiner Interessen - mit diesem Thema bereits intensiv auseinander. Welche Folgen diese Neuordnung von Hilfsmittelmarkt und Hilfsmittelversorgung für die eigentlich Betroffenen, die Hilfsmittelbenutzer, haben wird, ist bisher nur unzureichend thematisiert.

Medizinproduktegesetz (MPG)

Seit dem 15. Juni 1998 müssen Produkte, die unter das Medizinproduktegesetz fallen, mit dem CE-Kennzeichen versehen werden. Unter das MPG fallen auch Hilfsmittel, die damit ebenfalls die entsprechenden Voraussetzungen für die CE-Kennzeichenvergabe erfüllen müssen. Das Verfahren der Kennzeichenvergabe soll kurz dargestellt und in seiner Bedeutung für die Qualitätssicherung von Hilfsmitteln beschrieben werden.

Wer Prognosen über die Auswirkungen von Gesundheitsstrukturreform und Medizinproduktegesetz (MPG) auf die Hilfsmittelversorgung abgibt, befindet sich auf schwankenden Boden. Gesicherte empirische Analysen oder brauchbares statistisches Material existieren bisher nicht. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte, so daß ich mich im wesentlichen auf allgemeine Strukturen der Hilfsmittelversorgung beziehe und nur in Ausnahmen auf diese speziellen Technischen Hilfen eingehe.

Ich argumentiere aus der Perspektive des Verbraucherschutzes, so daß sich mein Blick vor allem auf mögliche negative Folgen dieses Strukturwandels für die Versicherten richtet. Verstehen Sie meine Ausführungen bitte als Versuch, Hintergrundinformationen zu geben und Fragen aufzuwerfen, um die Auseinandersetzung mit dieser Problematik insbesondere aus Sicht des Verbrauchers zu unterstützen. Es wird Sache des Symposiums sein, die Auswirkungen der Strukturreformen für die Hilfsmittelversorgung der Blinden und Sehbehinderten zu analysieren, mögliche Schwachstellen zu erkennen und Verbesserungsvorschläge zu entwickeln.

2. Das Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen

Zum Ende der 80iger Jahre erregte die Zunahme des Kostenanteils für Heil- und Hilfsmittel an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenkassen die Aufmerksamkeit von Experten und politischen Entscheidungsträgern. Der daraufhin eingesetzte Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen (Jahresgutachten 1988) wie auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung" kamen zu der Auffassung, daß diese Ausgabenzunahme wesentlich dadurch verursacht sei, weil die Marktstrukturen der Hilfsmittelmärkte weitgehend von Anbieterinteressen (Leistungserbringer) dominiert werden. Zudem wurde befunden, daß der Hilfsmittelmarkt intransparent sei. Vor diesem Hintergrund schien es dem Gesetzgeber angebracht, die Möglichkeiten der Krankenversicherung im Hilfsmittelbereich zu verbessern: "Da alle Analysen die Intransparenz der Märkte und deren unübersichtliche Strukturen als Hauptproblem der Hilfsmittelversorgung herausarbeiteten, bildete die Verbesserung der Informationsgrundlagen den Kern des strategischen Ansatzes der Krankenversicherung".

Markttransparenz und Qualitätssicherung durch das Hilfsmittelverzeichnis

mgesetzt werden sollte die Verbesserung der Informationsgrundlage durch ein Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen, dessen Aufbau durch die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Strukturreform des Gesundheitswesens im Jahre 1989 gesetzlich geregelt wurde. "In dem Verzeichnis sind die von der Leistungspflicht umfaßten Hilfsmittel aufzuführen und die dafür vorgesehenen Festbeträge oder vereinbarten Preise anzugeben. Das Hilfsmittelverzeichnis ist regelmäßig fortzuschreiben" (§ 128 SGB V). Weiter soll das Verzeichnis Definitionen der verordnungsfähigen Hilfsmittel enthalten und Indikationsbereiche und Qualitätsstandards, die ihrerseits in medizinische und technische Anforderungen unterteilt sind, festgelegt werden. Es sind nur solche Hilfsmittel in das Verzeichnis aufzunehmen, für die "der Hersteller die Funktionstauglichkeit und den therapeutischen Nutzen des Hilfsmittels sowie seine Qualität nachweist" (§ 139 SGB V) .

Mit diesen Zielvorgaben geht das Hilfsmittelverzeichnis über die Schaffung von Markttransparenz weit hinaus. Mit der Definition von Indikationen und Qualitätsstandards wird nämlich zugleich auch der Zugang zum System Hilfsmittelversorgung geregelt. Die Indikationsbereiche legen fest, unter welchen Bedingungen Versicherte einen Anspruch auf Hilfsmittel haben. Bei den Qualitätsstandards handelt es sich um Markteintrittsbarrieren, die in Richtung Hilfsmittelproduzenten wirken. Es liegt daher im Interesse der Behindertenorganisationen und Selbsthilfeverbände, sich am Aufbau und der Entwicklung des Hilfsmittelverzeichnisses zu engagieren.

Im Bereich Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen ist das Hilfsmittelverzeichnis bereits erstellt. Allerdings sind bisher noch keine Einzelprodukte aufgenommen. Die Produktgruppe 07 umfaßt Blindenhilfsmittel, in Produktgruppe 25 sind Sehhilfen zusammengefaßt. Im Unterschied zu den meisten anderen Produktgruppen fallen bei diesen Gruppen Qualität und Quantität der Gruppendefinitionen, der Indikationen und der Qualitätsstandards auf. Bei den technischen Anforderungen beider Produktgruppen ist explizit der Nachweis der Funktions- und Gebrauchstauglichkeit durch "neutrale Stellen" enthalten. Eine Forderung, die bei den meisten anderen Produktgruppen nicht zu finden ist. Welche Institutionen als neutrale Stellen in Frage kommen, wird allerdings nicht ausgeführt.

Aus der Perspektive der Hilfsmittelbenutzer ist insbesondere im Zusammenhang mit der noch ausstehenden Aufnahme von Einzelprodukten die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen von Interesse:

  • welche "neutralen Stellen" führen die Funktions- und Gebrauchstauglichkeitsprüfungen durch?
  • auf Basis welcher Grundlagen werden diese Prüfungen durchgeführt? Werden tatsächlich die in den Qualitätsstandards aufgeführten technischen Anforderungen zugrunde gelegt, oder werden andere Standards angewandt?
  • in welchen Zeitabständen ist eine Fortführung des Hilfsmittelverzeichnisses erforderlich, um den technischen und therapeutischen Fortschritt angemessen zu berücksichtigen?
  • Welche Bereiche (neue Produktgruppen, Produktgruppendefinitionen, Indikationen, Qualitätsstandards) müssen bei dieser Fortführung einbezogen werden?

Rechtlicher Status und faktische Bedeutung des Hilfsmittelverzeichnisses

Ein für die Versicherten grundlegendes Problem liegt in der mangelnden Überein-stimmung von rechtlichem Status und faktischer Bedeutung des Hilfsmittelverzeichnisses. Gemäß der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes haben die Versicherten grundsätzlich auch Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln, die nicht im Verzeichnis gelistet sind. Das Hilfsmittelverzeichnis hat danach informativen Charakter und besitzt nicht den Status einer Positivliste. Die Praxis allerdings sieht anders aus. Ärzte und Krankenkassen orientieren sich bei der Verordnung und Bewilligung von Hilfsmitteln fast ausnahmslos am Hilfsmittelverzeichnis. Da den Versicherten dieser Zusammenhang meist unbekannt und die Durchsetzung einer Hilfsmittelversorgung außerhalb des Verzeichnisses häufig nur über den Klageweg realisierbar ist, hat das Verzeichnis in der Praxis die Bedeutung einer Positivliste.

3. Festbeträge und Vertragspreissystem

Mit der Strukturreform des Jahres 1989 sollte auch die Preisgestaltung für die von den Kassen zu verordnenden Hilfsmittel neu geregelt werden. Dabei wurden mit der Festbetragsregelung und dem Vertragspreissystem zwei sich ergänzende Instrumentarien geschaffen. In § 33, Abs. 2, SGB V heißt es: "Ist für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach § 36 festgesetzt, trägt die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages. Für andere Hilfsmittel übernimmt sie die jeweils vertraglich vereinbarten Preise."

Mit Festbetrag und Vertragspreissystem sollen auf Seiten der Leistungserbringer Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft und der Preiswettbewerb ausgelöst werden.

Festbeträge

Der Gesetzgeber hat sich für eine Kombination von Festbetrag und Vertragspreis unter anderem auch deshalb entschieden, weil nicht davon auszugehen war, daß für den gesamten Hilfsmittelbereich in absehbarer Zeit Festbeträge geschaffen werden können (vgl. § 36 SGB V). Zudem wurde die Festbetragsregelung mit dem bisher noch nicht abgeschlossenen Aufbau des Hilfsmittelverzeichnisses verknüpft. Fest-beträge werden jeweils für ein Bundesland abgeschlossen. Über ein Anhörungsverfahren werden die Organisationen der Leistungserbringer und die Behindertenverbände einbezogen.

Die Zukunft der Festbeträge ist ungewiß. Dies nicht zuletzt, weil die Beantwortung der vom Bundessozialgericht (BSG) aufgeworfenen Frage zur Verfassungswidrigkeit der Festbetragsregelung durch das Bundesverfassungsgericht noch aussteht .

Festbeträge gibt es im Bereich der Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte bei Brillengläsern und Lupen.

Vertragspreissystem

Mit der Strukturreform des Jahres 1989 haben die einzelnen Krankenkassen die Möglichkeit erhalten, in direkte Preisverhandlungen mit den Leistungserbringern zu treten. So heißt es in § 127, Absatz 2, SGB V: "In Verträgen können sich Leistungserbringer bereit erklären, Hilfsmittel zu den festgesetzten Festbeträgen (§ 36) oder zu niedrigeren Beträgen abzugeben. Soweit Festbeträge noch nicht festgelegt sind oder nicht festgelegt werden können, schließen die Krankenkassen oder ihre Verbände mit Leistungserbringern oder Verbänden der Leistungserbringer Vereinbarungen über Preise. Die vereinbarten Preise sind Höchstpreise."

Ziel des Gesetzgebers war es, mit dem § 127 SGB V Möglichkeiten des Preiswettbewerbs zwischen den Leistungserbringern zu schaffen. Die Kassen haben ein Instrumentarium erhalten, das es Ihnen erlaubt, Angebote bei verschiedenen Leistungserbringern einzuholen und das kostengünstigste auszuwählen. Damit haben Festbeträge, falls überhaupt vorhanden, den Charakter von Höchstpreisen.

In der Praxis hat das Vertragspreissystem das Konzept der Festbeträge in vielen Hilfsmittelbereichen abgelöst. Insbesondere die großen gesetzlichen Krankenkassen nutzen ihre Marktstellung, um in direkten Verhandlungen mit den Leistungserbringern möglichst günstige Konditionen für die Hilfsmittelversorgung zu erzielen. Auf Seiten der Leistungserbringer hat es entsprechende Anpassungsreaktionen gegeben. Der Bildung großer bundesweit agierender Leistungsgemeinschaften, die für ihre Mitgliedsunternehmen die Vertragspreisverhandlungen mit den Krankenkassen durchführen, hat weiter zugenommen. Eine weitere Anpassungsreaktion war die Entstehung überregionaler "Versender".

Festbeträge und Vertragspreise definieren Versorgungsstandards

Nicht übersehen werden sollte, daß Festbeträge und Vertragspreise das Niveau der Hilfsmittelversorgung entscheidend beeinflussen. Mit Festbetrag und Vertragspreis erhalten die Hilfsmittelproduzenten ein Preisdatum, zu dem sie anbieten müssen. Ein zu niedriges Datum kann, wie Erfahrungen verschiedener Hilfsmittelbereiche belegen, Anpassungsreaktionen auf Kosten der Produktqualität nach sich ziehen. Bei besonders innovativen Hilfsmitteln, wie z.B. elektronischen Kommunikationshilfen, besteht bei zu niedrigen Fest- oder Vertragspreisen darüber hinaus die Gefahr, daß den Herstellern die Mittel für die Weiterentwicklung ihrer Produkte fehlen und Innovationen ausbleiben. Vor diesem Hintergrund muß die Haltung einiger Kassen, die Versorgung in Hilfsmittelbereichen mit niedrigsten Fest- oder Vertragspreisen als bedarfsgerecht festzuschreiben und zugleich qualitativ höherwertige oder innovativere Produkte generell als Komfort- oder Fehlversorgungen zu diskreditieren, als problematisch angesehen werden.

4. Versender

Bei den Versendern handelt es sich um Leistungserbringer, die im Unterschied zu Sanitätshäusern über keine Ladengeschäfte vor Ort verfügen. Auch die Möglichkeit, die Hilfsmittelversorgung über Versender durchzuführen, fußt letztlich auf § 127, Absatz 2, SGB V, da, wie bereits ausgeführt, die Kassen mit diesem Paragraphen ein Instrumentarium erhalten, das es Ihnen erlaubt, den kostengünstigsten Leistungserbringer auszuwählen. Eine Anpassungsreaktion auf Seiten der Leistungserbringer auf diese Strukturreform war die Zunahme überregional agierender Versender.

Versender können meist kostengünstiger arbeiten als wohnortnahe Dienstleister. Der wohnortnahe Fachhandel im Hilfsmittelbereich ist traditionell gekennzeichnet durch relativ niedrige Kundenzahlen bei vergleichsweise hohem Beratungsaufwand. Die Folge sind entsprechende Kosten für Personal und Ausstellungsflächen. Dagegen bedienen Versender in der Regel einen größeren Markt und konzentrieren sich häufig auf ein eingeschränktes Produktspektrum. Damit verfügen sie über günstigere Einkaufsmöglichkeiten und sparen bei Lagerhaltung und Verwaltungskosten. Auch der Personalaufwand für Information und Beratung ist bei den Versendern meist erheblich niedriger.

Unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten sind Versender für die Kassen im Vergleich zum örtlichen Sanitätshaus daher meist die attraktivere Vertragspartner. Unter dem Gesichtspunkt einer qualitativ guten Hilfsmittelberatung, die neben der Produktbereitstellung vor allem die wohnortnahe Beratung, Erprobung und Einweisung in den Hilfsmittelgebrauch umfaßt, können die Versender mit regionalen Leistungserbringern in der Regel aber nicht konkurrieren.

Allerdings können Versender auch unter Gesichtspunkten einer qualitativen Hilfsmittelversorgung in bestimmten Fällen durchaus eine geeignete Form der Hilfsmittelversorgung darstellen. Dies z.B. dann, wenn auf Grund einer zu geringen Nachfragedichte eine wohnortnahe Hilfsmittelversorgung zu vertretbaren Kosten nicht in Frage kommt. Hier erlangen erst überregional agierende Leistungserbringer mit entsprechender Nachfrage die kritische Größe, die erforderlich ist, um Versicherte kompetent zu beraten, in den Hilfsmittelgebrauch einzuweisen, ein ausreichendes Produktangebot bereitzustellen und den erforderlichen Service bereitzuhalten. Die im Bereich elektronischer Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Personen als Versender aktiven Leistungserbringer können durchaus zu dieser Gruppe gehören. Allerdings sind hinsichtlich Beratung und Einweisung im Bereich der Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte auch negative Einzelfälle bekannt geworden.

5. Wiedereinsatz von Hilfsmitteln

In § 33, Abs. 5 SGB V heißt es: "Die Krankenkasse kann den Versicherten die er-forderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen". Mit dieser 1989 eingeführten Regelung versucht der Gesetzgeber den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln zu forcieren. Um Kosten bei der Hilfsmittelbeschaffung einzusparen, sollen die Kassen nicht mehr benötigte Hilfsmittel von den Versicherten zurückverlangen, diese gemäß den geltenden Qualitätsstandards aufarbeiten, einlagern und im Bedarfsfall wiederverwenden.

Auch das Pflegeversicherungsgesetz sieht den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln ausdrücklich vor und enthält Vorschläge zur Durchführung dieses Verfahrens. Die Mehrheit der großen Krankenkassen und alle Pflegekassen setzen diese Vorgaben heute um. Ungefähr 40% bis 50% der von Kassen bewilligten Hilfsmittel stammt heute aus dem Depot. Nach Auffassung des Prüfdienstes Krankenversicherung des Bundesversorgungsamtes läßt sich dieser Anteil bis auf 80 % steigern.

Um die Abholung der nicht mehr benötigten Hilfsmittel, deren Aufbereitung, Lagerhaltung und datentechnische Verwaltung sicherzustellen, schließen die Krankenkassen entsprechende Verträge mit Leistungserbringern ab. Dabei handelt es sich meist um überregional agierende Versender oder um Einkaufsverbände des Fachhandels. Die im Rahmen des Wiedereinsatzes von Hilfsmitteln erforderlichen Leistungen haben für diese Leistungserbringer eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Dies belegt auch der folgende Auszug aus dem Firmenprospekt einer Vertriebs- und Marketinggesellschaft: "Der Markt für Orthopädie, Rehabilitation und Sanitätshaus wird in weiten Teilen reguliert durch die Kostenträger im Gesundheitswesen. Dieser Umstand bedingt, daß erst die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen eine uneingeschränkte Teilnahme an diesem Markt ermöglicht. So kommt z.B. dem Wiedereinsatz von Rehamitteln und den damit zusammenhängenden Verfahrensweisen eine wachsende Bedeutung zu und entwickelt sich derzeit für den Sanitätsfachhandel zu einem wettbewerbsentscheidenden, wenn nicht gar überlebenswichtigen Faktor. ... Die bereits jetzt hohe Akzeptanz unseres RehamittelServer/RMS mit über 400 Teilnehmern, mehr als 150.000 Hilfsmitteln und 1 Million Anfragen pro Jahr verdeutlicht, welche Bedeutung diese von uns angebotene Leistung für die Teilnahme am Markt für Rehamittel besitzt" .

Die Bemühungen der Krankenkassen um den Wiedereinsatz nicht mehr benötigter Hilfsmittel sind aus wirtschaftlichen Gründen sicherlich begrüßenswert. Allerdings muß zugleich beachtet werden, daß diese Maßnahmen auch tatsächlich zu Kosteneinsparungen führen und nicht zu Lasten der Qualität gehen. Beim Wiedereinsatz von Hilfsmitteln entstehen Aufwendungen für die Aufarbeitung, Lagerhaltung und Dokumentation des Lagerbestandes. Inwieweit diese Aufwendungen unterhalb der Neuanschaffungskosten für Hilfsmittel liegen, ist bisher nicht untersucht worden. Wichtiger für die Versorgungsqualität sind mögliche negative Effekte des Wiedereinsatzes. So können an den Depothilfsmitteln auf Grund langfristiger Einsatzzeiten Innovationszyklen und Produktverbesserungen vorbeigehen. Es bestünde dann die Gefahr, daß diese Hilfsmittel nicht mehr dem Stand der Technik und den therapeutischen Standards entsprechen. Gerade in Bereichen mit rascher technischer Entwicklung (wie z.B. elektronische Hilfen) ist darauf zu achten, daß die Depotversorgung nicht zu einem Ausschluß der Versicherten vom technischen Fortschritt führt. Bei Hilfsmitteln, die eine individuelle Anpassung erfordern, besteht darüber hinaus die Gefahr, daß diese Anforderungen zugunsten einer Depotversorgung nicht genügend berücksichtigt werden.

6. Fallkostenpauschale

Aktuell verschärft wird der Trend in Richtung restriktive Hilfsmittelversorgung durch das Instrument der "Fallkostenpauschale". Dieses vom Prüfdienst der Krankenversicherung im Bundesversicherungsamt den Kassen zur Anwendung empfohlene Konzept soll nach dessen Auffassung Einsparpotentiale von 40 bis 50 Prozent bei der Hilfsmittelversorgung ermöglichen . Aufgegriffen wurde das Fallpauschalenkonzept bereits von der Barmer Ersatzkasse , andere Kassen werden folgen.

Das Fallpauschalenkonzept sieht vor, daß die Kassen nicht wie in der Vergangenheit Eigentümer der Hilfsmittel sind, sondern diese beim Leistungserbringer gemietet werden. Mit der Mietgebühr sind für einen bestimmten Zeitraum alle Leistungen - von der Beratung über die Bereitstellung eines geeigneten Hilfsmittels bis hin zu Service und Wartung - abgedeckt. Eigentümer des Hilfsmittels bleibt der Leistungs-erbringer, der für den Vertragszeitraum auch für die Produkt- und Dienstleistungsqualität verantwortlich ist. Einsparpotentiale werden vom Bundesversicherungsamt erwartet, weil die Leistungserbringer mit dem Fallpauschalenkonzept ein stärkeres Interesse an einer möglichst kostengünstigen Hilfsmittelversorgung haben als in der Vergangenheit.

Die Befürworter sehen in der Fallkostenpauschale eine effektive Maßnahme zur Ausschöpfung von Rationalisierungsreserven der Hilfsmittelversorgung. Die Gefahr einer qualitativen Verschlechterung - so die letzte Bundesregierung - sei unbegründet, da die Qualität der Leistungen genau definiert sei. Empirisch belegen läßt sich diese These bisher nicht. Die Fallkostenpauschale wird derzeit als ein Instrument zur effektiveren Gestaltung der Hilfsmittelversorgung propagiert, ohne die möglichen Folgen für die Versicherten zu diskutieren, geschweige denn, sie zu untersuchen.

Hersteller warnen vor Qualitätseinbußen und Innovationsblockade

Nach Meinung der Hersteller wächst mit Einführung der Fallpauschale der Druck, einfacher und kostengünstiger zu produzieren. Der Fachhandel wird mit Einführung der Fallkostenpauschale möglichst stabile und wartungsfreie Produkte nachfragen. Befürchtet wird von Seiten der Hilfsmittelhersteller, daß die Fallpauschale zu einer Standardisierung der Produkte führen wird. Das in den letzen Jahren in vielen Bereichen aufgebaute, für die individuelle Hilfsmittelanpassung erforderliche, ausdifferenzierte und spezialisierte Produktangebot könnte dabei auf der Strecke bleiben.

Desweiteren wird neben einer "Innovationsblockade" auch befürchtet, daß die individuelle Hilfsmittelversorgung durch eine "Kategorisierung der Patienten" abgelöst wird .

Wohnortnahe Leistungserbringer befürchten Abbau von Beratung und Service

Auch auf Seiten der wohnortnahen Leistungserbringer wie Sanitätsfachhandel, Hörgeräteakustiker oder Augenoptiker führt die aktuelle Entwicklung zu einer Veränderung der Situation. Mit Einführung des Vertragspreissystems wuchs die Konkurrenz der überregionalen "Versender", die Lieferverträge mit den Kassen für bestimmte - meist wenig beratungs- und servicebedürftige - Hilfsmittel abschließen. Da Festbeträge und Vertragspreise bereits häufig zu Rabatteinbußen und Ertragseinbußen bei den wohnortnahen Leistungserbringern geführt haben, sind Qualitätseinschränkungen im Leistungsangebot kaum zu vermeiden. Es sind insbesondere die Versender, die dem Fallpauschalenkonzept positiv gegenüberstehen und sich gegenüber den klassischen Dienstleistungsanbietern weitere Wettbewerbsvorteile versprechen . Für den wohnortnahen Fachhandel steht eine Zäsur an. Mit der Fallpauschale wird sich die Einstellung zum Kunden ändern. Vor deren Einführung wurden die Versicherten bei der Abwicklung mit der Krankenkasse vom Fachhandel unterstützt: da eine qualitativ gute Hilfsmittelversorgung die Kundenzufriedenheit erhöht und häufig auch eine teurere Versorgung ist, hatten auch die wohnortnahen Leistungserbringer wirtschaftliche Vorteile. Zudem konnten vor Einführung der Fallpauschale Service und Wartungsarbeiten der GKV gesondert in Rechnung gestellt werden. Diese Möglichkeit entfällt nun, der Fachhandel muß seine Serviceleistungen aus der Fallpauschale begleichen.

Hilfsmittelbenutzer verliert kompetenten Dienstleistungspartner

Neben befreundeten Hilfsmittelnutzern, Selbsthilfegruppen, Betroffenenorganisationen und neutralen Beratungseinrichtungen haben in der Vergangenheit vor allem die wohnortnahen Dienstleister die Betroffenen bei der Auswahl und Beschaffung von Hilfsmitteln beraten und unterstützt. Mit den Rationalisierungsmaßnahmen der GKV wird dieses partnerschaftliche Verhältnis zunehmend brüchig. Mit der Fallkostenpauschale wechselt der Fachhandel - salopp formuliert - die Seiten. Der Fachhandel wird jetzt Partner der Krankenkasse, mit der er das gemeinsame wirtschaftliche Ziel einer möglichst kostengünstigen Versorgung hat. Je geringer der Aufwand an Hilfsmittelbeschaffungskosten, an Beratung, Reparatur und Wartung, desto höher der wirtschaftliche Vorteil auf Seiten des Leistungserbringers.

Da häufig die wohnortnahen Leistungserbringer die einzige Möglichkeit darstellen, sich vor Ort über das Hilfsmittelangebot zu informieren, sich beraten zu lassen und Hilfsmittel auszuprobieren, steht zu befürchten, daß mit Einführung der Fallkostenpauschale im großen und ganzen bewährte Strukturen der Hilfsmittelversorgung zugunsten zweideutiger Einsparpotentiale in Frage gestellt werden.

7. Medizinproduktegesetz

Das Medizinproduktegesetz (MPG) regelt erstmalig und umfassend das Inverkehrbringen und die Verwendung von Medizinprodukten. Das MPG setzt Richtlinien des EU-Rates in deutsches Recht um. Mit dem 15. Juni 1998 müssen Medizinprodukte - wozu auch Hilfsmittel gehören - die im Medizinproduktgesetz (MPG) festgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen. Zugleich löst das MPG die bisherige Medizingeräteverordnung (bei der Hilfsmittel nicht berücksichtigt waren) ab. Das MPG soll den Verkehr mit Medizinprodukten regeln, deren Sicherheit, Eignung und Leistung gewährleisten sowie für die Gesundheit und den Schutz des Patienten im Umgang mit Medizintechnik sorgen.

Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten

Produkte, die unter das MPG fallen, dürfen vom Hersteller nur in den Verkehr gebracht werden, wenn diese mit dem CE-Kennzeichen versehen sind. Das CE-Kennzeichen wiederum darf nur geführt werden, wenn das für die Produktgruppe vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist. Das MPG unterteilt den gesamten Produktbereich in vier Risikoklassen. Die Einteilung der Medizinprodukte erfolgt nach der Tiefe und Art des Eindringens in den Körper sowie nach der zusätzlichen Energieabgabe. Die "körperfernen" technischen Hilfsmittel fallen meist in die niedrigste Risikoklasse (Klasse I). Die Risikoklasse I verlangt das einfachste Konformitätsbewertungsverfahren, das von den Herstellern im Rahmen einer "Selbstzertifizierung" (sogenannte EG-Konformitätserklärung) erbracht werden kann, in deren Zentrum die Aufstellung und Bereithaltung einer technischen Dokumentation steht. Im Rahmen dieser technischen Dokumentation nennt der Hersteller auch die für das jeweilige Produkt einzuhaltenden europäischen Normen und bestätigt deren Einhaltung.

Verbessert die CE-Kennzeichnung die Hilfsmittelqualität?

Für die Beurteilung der Qualität der CE-Kennzeichnung im Hilfsmittelbereich wären demnach zwei Aspekte zu beachten: 1. Ist das Verfahren der Selbstzertifizierung ein verläßliches Verfahren? 2. Was verlangen die von den Herstellern im Rahmen der Selbstzertifizierung anzuwendenden europäischen Normen? Hinsichtlich der europäischen Normen ist darauf hinzuweisen, daß spezielle Normen für die meisten Hilfsmittelgruppen bisher nicht existieren. In Bereichen, wo europäische Normen bereits vorliegen oder im Aufbau sind (wie z.B. bei Liftern), zeigt sich, daß die europäischen Normen durchaus unter dem Anforderungsniveau der bisherigen DIN-Normen liegen können. Allgemeine Aussagen über die Qualität des CE-Kennzeichenvergabe sind gegenwärtig also nicht möglich. Es muß jeweils für die einzelnen Produktgruppen untersucht werden, auf welchem Niveau die CE-Zeichens erfolgt. Dabei wäre insbesondere darauf zu achten, ob in den zugrundeliegenden Normen auch Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit und den therapeutischen Nutzen enthalten sind. Fachkreise gehen davon aus, daß dies nicht der Fall ist und von der CE-Zeichenvergabe im Hilfsmittelbereich - auch im Zusammenhang mit der Selbstzertifizierung - keine Verbesserung der Produktqualität zu erwarten sei. Vielmehr wird davor gewarnt, daß das CE-Zeichen dem Verbraucher Produktstandards suggerieren könnte, die in Wahrheit nicht vorhanden sind .

Desweiteren wird von Expertenseite darauf hingewiesen, daß die Einführung des CE-Zeichens zu einem Verlust an Produktqualität führen könnte. Der Grund: Mit der CE-Zeichenvergabe wird lediglich nachgewiesen, daß das Produkt den europäischen Normen entspricht, die häufig nur Mindestanforderungen festschreiben. Da aber das CE-Zeichen "fälschlich als Qualitätssymbol mißverstanden, aber auch teilweise bewußt mißinterpretiert wurde", können Hersteller motiviert sein, "alle bisherigen Qualitätsmerkmale eines Produktes, die nicht für die Vergabe des CE-Zeichens relevant sind, aus Kostengründen aufzugeben.... Es besteht die Gefahr, daß die Qualität bisheriger Produkte zukünftig nachläßt, weil sie sich nur am Mindestmaß (des CE-Zeichens, Einfügung vom Verfasser) orientiert" .

Medizinproduktegesetz und Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen

Ein Vergleich der CE-Zeichenvergabe gemäß Medizinproduktegesetz und den Qualitätsstandards des Hilfsmittelverzeichnisses zeigt erhebliche Unterschiede sowohl bei den zugrundeliegenden Anforderungen wie auch bei den Verfahren, mit denen deren Einhaltung nachgewiesen wird. Indem das Hilfsmittelverzeichnis einen Nachweis der Gebrauchstauglichkeit und des therapeutischen Nutzens der Hilfsmittel fordert, geht es inhaltlich weit über das Medizinproduktegesetz hinaus. Bei den Nachweisverfahren wird zumindest für einige Produktgruppen, im Unterschied zur Selbstzertifizierung des MPG, eine externe Prüfung ausdrücklich verlangt.

8. Fazit

Vor dem Hintergrund der erheblichen Ausgabenentwicklung im Heil- und Hilfsmittelbereich sind die Bemühungen des Gesetzgebers und der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Kostendämpfung sicherlich unumgänglich. Umgesetzt werden sollen diese Ziele vor allem durch die Aktivierung von Wirtschaftlichkeitsreserven, dagegen wurde eine Reduzierung des Versorgungsanspruchs der Versicherten mit Heil- und Hilfsmitteln vom Gesetzgeber ausdrücklich verneint.

Soweit die programmatische Zielsetzung der Strukturreformen des Gesundheitswesens. In der Praxis läßt sich neben der beabsichtigten Aktivierung von Wirtschaftlichkeitsreserven allerdings auch eine Verschlechterung der Versorgungsqualität im Heil- und Hilfsmittelbereich beobachten. Dabei sind direkte Eingriffe des Gesetzgebers in den Leistungsbereich, wie etwa die Zuzahlungspflicht für bestimmte Bandagen, Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie in Höhe von 20%, bisher die Ausnahme. Einschränkungen der Versorgungsqualität resultieren eher aus der zum Teil überzogenen und häufig unzureichend koordinierten Anwendung der vom Gesetzgeber bereitgestellten Steuerungsinstrumente durch die Kassen. So wird der Standard der Hilfsmittelversorgung derzeit weniger durch die Qualitätsanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses bestimmt, sondern durch Anpassungsreaktionen der Hersteller auf Festbeträge und Vertragspreise. Hier haben die Kassen unter Ausnutzung ihrer Marktposition teilweise Preise durchsetzen können, die zur Zurücknahme der Produktvielfalt und zu einer Verschlechterung der Produktqualität geführt haben. Dies ist auch ein Indiz dafür, daß das Hilfsmittelverzeichnis seiner Rahmenfunktion, Markttransparenz zu schaffen und Versorgungsstandards zu setzen, bisher nur eingeschränkt nachkommen konnte.

Aber auch die Dienstleistungsqualität hat in den letzten Jahren gelitten. Die Begünstigung überregionaler Versender gegenüber lokalen Leistungserbringern durch die Kassen ist sicherlich ein geeignetes Instrument zur Kostenreduzierung. Ein Erfolg, der allerdings mit einer Aushöhlung wohnortnaher Informations-, Erprobungs- und Beratungsangebote bezahlt werden muß. Eine Entwicklung, die sich mit der Fallkostenpauschale weiter verschärfen könnte. Wird diese zu niedrig angesetzt, sind Einbußen der Produkt- und Dienstleistungsqualität bei der Hilfsmittelversorgung unvermeidlich. Die Fallkostenpauschale führt darüber hinaus aber auch zu einem Wandel der Beziehung von Kasse, Leistungserbringer und Versichertem mit bisher nicht absehbaren Folgen. Die Leistungserbringer sind nicht länger Partner des Versicherten, dem als Kunden Produkte und Dienstleistungen angeboten werden. Der Versicherte wird zum Kostenfaktor innerhalb einer bereits im Vorfeld festgelegten Versorgungsvereinbarung.

Das nunmehr geltende Medizinproduktegesetz, sichtbar durch das CE-Zeichen am Produkt, mag im Hinblick auf allgemeine Sicherheitsanforderungen, wie z.B. Strahlenschutzbestimmungen bei Bildschirmlesegeräten, positiv beurteilt werden. Wer allerdings mit dem CE-Zeichen Erwartungen im Hinblick auf Gebrauchstauglichkeit und therapeutischen Nutzen von Hilfsmitteln knüpft, ist im Irrtum. Hier ist auch der Verbraucherschutz aufgerufen, die Versicherten über CE-Zeichen und andere Prüfsiegel aufzuklären.

Zweifellos ist eine effektive und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung im Interesse aller Versicherten. Dies akzeptieren auch die Behindertenverbände und Selbsthilfeorganisationen, die zugleich auf eine angemessene Versorgungsqualität bestehen. Besondere Bedeutung kommt dabei neben der Produktqualität den für die Hilfsmittelversorgung unverzichtbaren Dienstleistungen zu. Gerade für den Bereich der Blinden und Sehbehinderten sind kompetente Beratungs- und Dienstleistungsangebote wesentlich für die Ermittlung des geeignetsten Hilfsmittels und für dessen effektive Nutzung. Eine verstärkte Einbeziehung der in diesem Bereich ohnehin aktiven Blinden- und Sehbehindertenverbände könnte die aktuelle Situation verbessern und bei zukünftigen Strukturmaßnahmen Reibungsverluste vermeiden helfen.

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Letzte Änderung: 19.07.2010 | © 2006 - 2013 DIAS GmbH | Impressum | Barrierefrei?