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Mit Vollgas durchs Internet? - Webreader im Test

von Heike Clauss, INCOBS 2004

Webreader sind Programme, mit deren Hilfe Blinde und hochgradig Sehbehinderte im Internet surfen können. Ein Webreader liest die Informationen auf Internetseiten ein und gibt sie über eine Sprachausgabe wieder. Wer die Blindenschrift beherrscht, kann zusätzlich eine Braillezeile verwenden.

So einfach, wie es klingt, ist es aber leider nicht ganz. Seit Entstehung des Internets wird dem optischen Eindruck von Webseiten immer größere Bedeutung beigemessen. Eine aufwendige grafische Gestaltung mit Farben, Bildern, ausgefeilten Seitenunterteilungen und multimedialen Effekten soll das Surfen im Netz interessanter, ja erlebnisreicher, gestalten. Für Sehende kann das bei der Vermittlung von Inhalten unterstützend sein, Blindenhilfsmittel dagegen werden vor eine schwierige Aufgabe gestellt.

Blind im Netz - wie kann das funktionieren?

"Der Webreader wandelt die Inhalte einer Internetseite in reine Textform um. Dieser Text wird meist in einem Extra-Bildschirmfenster dargestellt. Der Anwender kann sich dann mit den Pfeiltasten durch die Inhalte bewegen, die über eine Sprachausgabe und evtl. eine Braillezeile ausgegeben werden".

Informationen, die auf verschiedene Bereiche einer Internetseite verteilt sind und von Sehenden auf einen Blick wahrgenommen werden, müssen von dem Webreader in eine sinnvolle Textreihenfolge gebracht werden. Auch Grafiken, Bilder und Strukturen tragen häufig zum Verständnis des Inhalts bei und sollten textlich umgesetzt werden.

Wie gut dies alles gelingen kann, hängt aber nicht allein von der Hilfsmitteltechnologie ab, sondern auch von der Programmierung der Internetseite. In nationalen und internationalen Standards ist festgelegt, wie Internetseiten aussehen sollen, damit sie von allen genutzt werden können. Den meisten Entwicklern sind diese Kriterien zur barrierefreien Gestaltung von Webseiten aber noch nicht bekannt, oder sie sehen ihre künstlerische Freiheit durch diese eingeschränkt.

Die Hilfsmittelhersteller versuchen deshalb, vorhandene Barrieren durch besondere Funktionen der Webreader so gut wie möglich auszugleichen.

Fest steht aber: je besser die Standards eingehalten werden, desto besser können Webreader Internetseiten für Blinde nutzbar machen. Zum Beispiel: Ein Webreader kann nicht beschreiben, was auf einem Bild oder auf einem Foto zu sehen ist. Wenn das Bild aber von dem Entwickler der Seite mit einem Alternativtext versehen wird - ein wichtiges Kriterium der Barrierefreiheit -, dann wird der Webreader diesen Text ausgeben.

Webreader - welche Produkte gibt es?

Auf dem Markt gibt es zur Zeit sehr unterschiedliche Typen von Webreadern: So ist bei einigen Screenreadern, wie z.B. JAWS, Hal oder Window-Eyes, das Lesen von Internetseiten eine im Reader integrierte Funktionalität - die übrigens im Kaufpreis enthalten ist (je nach verwendetem Windows-Betriebssystem kostet JAWS ca. 1.200 bis 2.900 Euro).

Daneben gibt es Webreader, die separat angeboten werden und mit beliebigen Screenreadern genutzt werden können. Der WebFormator von Audiodata oder der Webwizard von Baum arbeiten auf diese Weise. Mit dieser Software können die am Arbeitsplatz vorhandenen Ausgabemedien genutzt werden. Der WebFormator ist kostenlos, wer den Screenreader VIRGO von Baum als Vollversion nutzt, muss für den Webwizard ebenfalls nichts zahlen - ansonsten kostet er ca. 150 Euro.

Besonders geeignet für Computerneulinge sind die sogenannten Sprachbrowser. Diese Internet-Lesesoftware beinhaltet eine eigene Sprachausgabe und benötigt keinen Screenreader. Der Homepage-Reader von IBM war lange Zeit das einzige Produkt auf dem Markt (ca. 200 Euro). Zur Zeit entwickelt auch die Firma Frank Audiodata einen speziellen Sprachbrowser.

Daneben gibt es noch eigenständige Textbrowser. Das bekannteste Beispiel Lynx wurde für die Betriebssysteme Linux und MS DOS entwickelt, ist heute aber auch auf Windows-Rechnern einsetzbar. Die am PC angeschlossenen Ausgabemedien Braillezeile und Sprachausgabe können genutzt werden. Allerdings kann Lynx als reiner Textbrowser viele Internetseiten nicht lesen, die mit neueren Techniken wie Javascript und Flash programmiert sind.

Bei der Auswahl eines Webreaders sollte neben Produkttyp und Preis aber auch die Funktionalität der einzelnen Produkte berücksichtigt werden. Wie der vergleichende Test von INCOBS zeigt, gibt es hier durchaus Unterschiede.

Das Leistungsspektrum

Das Projekt INCOBS (Informationspool Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte) testet schon seit mehreren Jahren Computerhilfsmittel und elektronische Lesehilfen. Für den Webreader-Test wurden spezielle Internetseiten entwickelt, die in den relevanten Abfragebereichen dem HTML 4.01 Standard entsprechen, also barrierefrei sind. Anhand eines umfangreichen Fragenkataloges und detaillierten Arbeitsaufgaben wurden die Produkte JAWS - virtueller Cursor (Freedom Scientific), Homepage-Reader (IBM), WebFormator (Audiodata) und Webwizard (Baum), getestet. Die Ergebnisse können im Internet unter www.incobs.de nachgelesen werden.

Wie der Test zeigte, gibt es in der Leistungsfähigkeit der Webreader zur Zeit deutliche Unterschiede. Auf folgende Punkte sollten sie daher bei der Auswahl eines Webreaders achten:

Vollständige Wiedergabe der Seiten

Beim Vorlesen einer Seite sollte der Webreader sämtliche Strukturierungselemente wie Frames, Tabellen, Überschriften, Listen usw. erkennen und ausgeben. Denn nur so ist es möglich, die Inhalte leicht und vollständig zu erfassen. Bei einigen Readern ist hier noch Nachholbedarf: sie sagen nicht einmal Überschriften an.

Keine Probleme gibt es dagegen bei der Wiedergabe internetspezifischer Merkmale wie Frames, die zur Trennung von Navigation und Inhalt dienen, oder Links, die auf andere Seiten verweisen. Aber eigentlich ist das auch eine Selbstverständlichkeit.

Wie schon eingangs erwähnt, sollte jedes Bild einer Internetseite mit einem kurzen Alternativtext versehen sein. Dieser wird auch von jedem Webreader ausgegeben. Zur Erklärung komplizierterer Sachverhalte, z.B. bei Diagrammen, gibt es die Option, längere Beschreibungstexte einzufügen, - also, eine ideale Möglichkeit zur barrierefreien Gestaltung für Blinde und Sehbehinderte. Zugegebenermaßen machen sich bislang nicht viele Entwickler die Mühe, solche Langbeschreibungen zu verfassen, aber wenn zwei der vier getesteten Webreader diese gar nicht erst ausgeben, ist die Frage erlaubt, wer sich zukünftig die zusätzliche Arbeit machen wird.

Einfaches Orientieren und Navigieren

Schon für Sehende ist es gelegentlich schwer, sich auf unübersichtlichen Seiten zurechtzufinden und an die gewünschten Informationen zu kommen. Denkbar groß ist die Leistung, die blinde und sehbehinderte Nutzer vollbringen müssen. Webreader sollen deshalb Funktionen anbieten, die den Nutzer bei der Orientierung und beim schnellen Auffinden der gesuchten Informationen unterstützen.

Eine Seitenüberblicksfunktion mit Angaben zur Anzahl der Frames, Grafiken, Überschriften usw. gibt wichtige Anhaltspunkte für das weitere Vorgehen und erleichtert das Navigieren auf unbekannten Seiten. Gleiches gilt für spezielle Frame- und Linklisten. Da Links häufig nicht aussagekräftig benannt sind (bitte klicken Sie hier), ist es sinnvoll, in der Linkliste sämtliche verfügbaren Informationen aufzuführen, z.B. Verweisziel, Linktitel und eine Positionsnummer.

Leider verfügen nicht alle Webreader über solche Übersichten bzw. die Angaben sind nicht vollständig.

Um schnell zu gewünschten Informationen zu gelangen, sollten Webreader die Möglichkeit bieten, Elemente zu überspringen. Mit Hilfe spezieller Tastenkombinationen kann der Anwender dann von Frame zu Frame oder von einem Link zum anderen springen. Diese Möglichkeit sollte auch für Überschriften oder Absätze bestehen - wird aber nicht von allen Readern angeboten.

Datentabellen und Formulare

Mitunter findet man auf Webseiten Datentabellen. Für Sehende eine sehr gute Möglichkeit, vergleichbare Daten übersichtlich darzustellen. Auch Hilfsmittelnutzer sollten sich in diesen Tabellen bewegen können, ohne die Orientierung zu verlieren. Hier reicht das Leistungsspektrum der Webreader von sehr guten Tabellenlesefunktionen bis zur Unmöglichkeit, die Tabelleninhalte gezielt zu erfassen.

Abschließend sei noch der Umgang mit Formularen erwähnt. Diese werden nämlich inzwischen sehr häufig im Internet genutzt; sei es um Bestellungen aufzugeben, Home-Banking durchzuführen oder um an Umfragen im Web teilzunehmen. Wir haben überprüft, ob Formulare problemlos eingelesen und ausgefüllt werden können.

Der Test ergab, dass das kontrollierte Ausfüllen von Formularen mit allen Webreadern möglich ist. Es gibt allerdings Unterschiede, wie einfach dies dem Nutzer gemacht wird:

Hilfreich ist es, wenn der Webreader eingangs auf einen Formularbereich hinweist und die verschiedenen Formulareingabe-Elemente, z.B. Textfeld, Textbereich, Kontrollkästchen, Auswahllisten usw., korrekt wiedergibt.

Bei der Erstellung von Formularen gibt es Möglichkeiten, das Navigieren für Tastaturbenutzer zu vereinfachen, z.B. springen in einer definierten Tab-Reihenfolge oder springen zu einem bestimmten Element. Diese Features zur Barrierefreiheit werden aber leider nur von einem Produkt unterstützt.

Und in Zukunft?

Auch in Zukunft werden die Hilfsmittelhersteller die Webreader mit Funktionen und Einstellungsmöglichkeiten ausstatten müssen, die es dem Anwender möglich machen, unübersichtliche und von Animationen nur so strotzende Webseiten einigermaßen nutzen zu können. Immer häufiger werden auf Seiten sogenannte Onclick-Links eingesetzt, die Webreader vor eine neue Herausforderung stellen. Beta-Versionen einiger Reader ermöglichen dem blinden Anwender bereits, auch diese Links zu nutzen. Dennoch sollte jeder Web-Designer, der etwas auf sich und seine Arbeit hält, bestrebt sein, Webseiten barrierefrei zu gestalten.

Mehr Informationen über Webreader und andere Hilfsmittel:

DIAS GmbH Projekt INCOBS
Neuer Pferdemarkt 1
20359 Hamburg
Tel: 040/ 43 18 75-0

www.incobs.info

Informationen und Beratung zum Thema barrierefreies Internet bietet das BIK-Projekt - barrierefrei informieren und kommunizieren - unter der obigen Adresse oder unter www.bik-online.info an.


Auf dieser Seite kommen 8 Begriffe vor, die in unserem Wörterbuch erläutert werden: Barrierefreiheit, Braillezeilen, Cursor, DOS, HTML, Screenreader, Sprachausgabe und Tastenkombination.


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Letzte Änderung: 19.07.2010 | © 2006 - 2013 DIAS GmbH | Impressum | Barrierefrei?