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von Michaela Freudenfeld, INCOBS 2004
Mobiltelefone gehören zum mobilen Arbeitsalltag - auch von Blinden und Sehbehinderten. Handys folgen allerdings einem Entwicklungstrend, der sich an den Bedürfnissen Sehender orientiert. Handys werden immer kleiner und kompakter und verfügen über immer mehr Zusatzfunktionen. In der Regel werden Mobiltelefone über das Display bedient. Viele Funktionen, die über das Telefonieren hinausgehen, bleiben blinden und stark sehbehinderten Nutzern daher verwehrt.
Inzwischen gibt es spezielle Anpassungen und Lösungen für hochgradig Sehbehinderte und Blinde. Sie sollen das Telefonieren einfacher machen und den Gebrauch von Zusatzfunktionen ermöglichen.
Eine vor allem für Blinde sehr interessante Lösung könnten die sogenannten "sprechenden Handys" sein. So können bestimmte Modelle mit einer Software ausgestattet werden, die durch eine integrierte Sprachausgabe die Informationen auf dem Display vorliest. Aktuell auf dem Markt sind die Produkte "Talks" und "Mobile Accessibility".
Die Entscheidung für ein herkömmliches Handy oder eine spezielle Anpassung sollte von Art und Grad der Sehbehinderung abhängig gemacht werden, sowie von der Frage, welche zusätzlichen Funktionen genutzt werden wollen. Schließlich kosten diese Lösungen zusätzliches Geld. Und die wenigen Modelle, auf denen sie installierbar sind, gehören zu den Handys aus der oberen Preiskategorie.
Befragt man zudem Sehbehinderte, hört man häufig, dass der Sehrest bei der Handynutzung auch eingesetzt werden möchte.
Sprechende Handys können für viele eine Lösung sein. Sie werden aber nicht dafür sorgen, dass "normale" Mobiltelefone von Blinden und Sehbehinderten nicht mehr genutzt werden.
Das Projekt INCOBS (Informationspool Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte) nimmt in regelmäßigen Zeitabständen herkömmliche Mobiltelefone unter die Lupe und testet, inwiefern sie für Blinde und Sehbehinderte geeignet sind.
Im Frühjahr wurden die folgenden sieben auf dem aktuellen Markt verfügbaren Mobiltelefone auf ihre Zugänglichkeit hin geprüft:
Zur Verfügung gestellt wurden die Geräte vom INCOBS-Kooperationspartner Stiftung Warentest.
Um herauszubekommen, worauf es Blinden und Sehbehinderten bei der Handynutzung ankommt, starteten wir eine Nutzerumfrage. Auf Basis dieser Umfrage konnten Testkriterien zu drei zentralen Bereichen entwickelt werden:
Da die Nutzeranforderungen von Blinden und Sehbehinderten unterschiedlich sind, wurden zwei separate Tests durchgeführt: Einer für die Nutzergruppe der Sehbehinderten und einer für die Nutzergruppe der Blinden. So enthält z.B. nur der Test für sehbehinderte Nutzer den dritten Testabschnitt "Display", der bei blinden Nutzern nicht bewertet werden muss.
Bei beiden Tests wird die gleiche Struktur verfolgt:
Es gab eine Expertenprüfung objektiv erhebbarer Merkmale (z.B. das Vorhandensein akustischer Signale) sowie praktische Tests mit betroffenen Anwendern. Diese mussten verschiedene Aufgaben mit dem Handy durchführen und anschließend Beurteilungen zur Nutzbarkeit des Mobiltelefons abgeben.
Alle erhobenen Merkmale und abgegebenen Beurteilungen der einzelnen Testabschnitte wurden sortiert und gewichtet. Heraus kam eine Punktzahl pro Gerät und pro Nutzer-Gruppe.
Pro Gerät gibt es also je zwei Ergebnisse, eines für blinde Nutzer und eines für Sehbehinderte. Als Endergebnis war eine Punktzahl von maximal 100 erreichbar. Folgende Punktzahlen wurden erreicht:
Produkt | Ergebnis für blinde Nutzer | Ergebnis für sehbeh. Nutzer |
---|---|---|
Siemens M55 | 89 von 100 | 72 von 100 |
Siemens SL55 | 89 von 100 | 69 von 100 |
Sony Ericsson T610 | 78 von 100 | 47 von 100 |
Nokia 6100 | 68 von 100 | 45 von 100 |
Nokia 6800 | 66 von 100 | 44 von 100 |
Samsung P400 | 54 von 100 | 47 von 100 |
Nokia 3650 | 36 von 100 | 33 von 100 |
Insgesamt war unter den Testkandidaten weder für Blinde noch für Sehbehinderte ein Gerät dabei, dass uneingeschränkt empfohlen werden kann. Es haperte bei allen; wenn nicht in der Menübedienung, dann spätestens bei der Beurteilung des Displays.
Und trotzdem lassen sich Unterschiede feststellen. Man kann sagen, dass die Siemens-Geräte in die richtige Richtung gehen. Sie haben sowohl bei blinden als auch bei sehbehinderten Nutzern die im Vergleich besten Bewertungen erhalten.
Auffällig ist, dass die Geräte im Durchschnitt für Blinde besser abgeschnitten haben als für sehbehinderte Nutzer. Das hat den Grund, dass Sehbehinderte sich zu einem Großteil bei der Handynutzung am Display orientieren. Und in diesem Testabschnitt haben alle Geräte am schlechtesten abgeschnitten.
Ein weiterer Grund war, dass Blinde in der Regel geübter in der taktilen Erkennung der Tasten sind, und auch enge Tastenabstände durchschnittlich etwas besser beurteilten.
Die Testabschnitte im Einzelnen:
Das liegt vor allem daran, dass die Displays kaum einstellbar sind. Sehbehinderte brauchen aber häufig individuelle Farbeinstellungen. So wird beispielsweise je nach Sehbehinderung dunkle Schrift auf hellem Hintergrund oder umgekehrt bevorzugt.
Die Hoffnung, dass moderne Fotohandys mit großen Displays zu vergrößerbaren Dis-playinhalten führen, wurde in unserem Test enttäuscht. Die Schriftgröße ließ sich lediglich bei zwei Geräten (Siemens SL 55 und M 55) geringfügig vergrößern.
Die Tastenanordnung wurde von unseren Testnutzern sowohl in der Gruppe der Blinden als auch bei den sehbehinderten Testern im Durchschnitt mit "eingeschränkt zugänglich" beurteilt. Bis auf ein Gerät (Nokia 3650) entspricht der Nummernblock dem Standard, was die Tasten-Orientierung erleichtert. Bei der Abgrenzung der Tasten un-tereinander gab es allerdings Einschränkungen. Das Sony Ericsson-Modell schnitt hier durch klare Tastenabstände am besten ab. Bei Geräten wie dem Samsung P400 oder den Siemens-Modellen hatten vor allem sehbehinderte Anwender Schwierigkeiten, die Tasten auseinander zu halten.
Die Tastenbeschaffenheit - zum Beispiel deutlich vom Gehäuse abgehobene Tasten oder Fühlbarkeit des Tasten-Druckpunkts - wurde bei drei Geräten (Siemens M55, Siemens SL55 und Sony Ericsson T610) mit "gut" bis "eingeschränkt zugänglich" beurteilt. Alle anderen fielen durch, u.a., weil deutliche Markierungen der Ziffer "Fünf" vermisst wurden (Samsung P400, Nokia 6100, Nokia 6800).
Handymenüs in Listenstruktur sind generell vorteilhafter, weil in diesen in begrenzten Richtungen navigiert wird. Also entweder nur nach oben und unten oder nur nach links oder rechts. Weniger vorteilhaft sind Gitteranordnungen von grafischen Symbolen, in denen in alle vier Himmelsrichtungen navigiert werden muss. Listenmenüs werden immerhin bei drei Modellen (Nokia 6100, Nokia 6800, Samsung P400) sowohl für das Haupt- als auch für die Untermenüs eingesetzt. Die beiden Siemens-Modelle und das Sony Ericsson verfügen zumindest in den Untermenüs über eine reine Listenstruktur. Die Siemens-Handys bieten zusätzlich akustische Signale, wenn das Ende eines Menüs erreicht wird.
Bis auf das Nokia 3650 verfügen alle Geräte über eine Nummerierung der Menüeinträge, gekoppelt an der sogenannten Menüdirektwahl. Dadurch kann der Anwender einen Menüeintrag allein durch eine der Nummerierung entsprechende Tastenkombination aufrufen. Allerdings wiesen die Nokia-Modelle 6100 und 6800 im Praxistest Un-regelmäßigkeiten auf. Positiv hervorzuheben sind bei den Siemens-Geräten und dem Sony Ericsson die gut funktionierenden Sprachwahlfunktionen. Das heißt, dass bei diesen Geräten über das Sprechen eines eingespeicherten Namens eine Rufnummer angerufen werden kann.
Das Ergebnis des ersten INCOBS-Handy-Tests sorgt zunächst einmal eher für eine Ernüchterung darüber, wie der derzeitige Markt aussieht. Er repräsentiert aber nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt der Angebote an Mobiltelefonen. Um wirklich bei der Kaufentscheidung unterstützen zu können, bedarf es den Einbezug sehr vieler Geräte. Daher steht der nächste Test noch in diesem Sommer an. Interessierte finden alle Detailergebnisse sowie Testkommentare zu den einzelnen Geräten im Internet unter: www.incobs.de.
Eine Checkliste mit hilfreichen Kriterien, auf die bei dem Kauf eines Handys zu achten sind, finden Sie ebenfalls auf der INCOBS-Homepage.
Auf dieser Seite kommen 4 Begriffe vor, die in unserem Wörterbuch erläutert werden: Accessibility, Sprachausgabe, Tastenkombination und Zugänglichkeit.
Letzte Änderung: 19.07.2010 | © 2006 - 2013 DIAS GmbH | Impressum | Barrierefrei?