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Vorlesehandys im Vergleich

von Heike Clauss, INCOBS 2010

Mithilfe spezieller Texterkennungssoftware können Handys in mobile Vorlesegeräte verwandelt werden. Die Schriftstücke werden mit der Handykamera fotografiert und anschließend von einer Sprachausgabe vorgelesen. Wie gut funktioniert das wirklich? Und welche Software arbeitet am zuverlässigsten? INCOBS hat Vorlesesoftware für Handys getestet.

Die Idee, das Handy zum Vorlesen von Texten zu nutzen, ist inzwischen nicht mehr ganz neu. Erstmals sorgte der knfb Reader auf der Hilfsmittelmesse SightCity 2008 für Furore, im letzten Jahr erschien die Vorlesesoftware TextScout von der deutschen Firma Elumo und aktuell bietet die Firma Beyo aus Potsdam den beyoCBS Reader an. INCOBS – Informationspool Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte hat die drei Softwareprodukte unter die Lupe genommen. Getestet wurde mit dem Nokia Handy N82.

Welche Handys können genutzt werden?

Nicht jedes Handy taugt zum Vorlesegerät. Damit die Texterkennungssoftware auf einem Handy installiert werden kann, sind bestimmte Systemvoraussetzungen notwendig. Außerdem muss das Handy natürlich über eine Kamera verfügen. Während der knfb Reader nur auf dem Nokia Handy N82 und inzwischen auch auf dem Nokia 6220 Classic läuft, geben die Entwickler des TextScouts und des beyoCBS Readers eine Liste mehrerer kompatibler Nokia-Handys heraus. Interessierte können diese im Internet auf den Seiten der Anbieter finden.

Besonderheit des TextScouts ist, dass die Daten über eine Internetverbindung zu einem zentralen Server geschickt und dort verarbeitet werden. Das bedeutet, der Nutzer sollte über einen günstigen Internettarif für sein Mobiltelefon verfügen. Beim knfb Reader und dem beyoCBS Reader findet die Textverarbeitung auf dem Handy selbst statt.

Generell ist zu beachten, dass die „herkömmlichen“ Handys, die genutzt werden können, nicht speziell auf die Bedürfnisse blinder oder sehbehinderter Menschen abgestimmt sind.

Wie ist das korrekte Fotografieren möglich?

Grundsätzlich erfordert das freihändige „blinde“ Fotografieren von Schriftstücken Übung und eine ruhige Hand. Empfehlenswert kann es sein, die Kamera mit beiden Händen zu halten und dabei die Ellenbogen aufzustützen. Als Hilfe für das Ausrichten des Lesegutes kann z.B. eine Tischkante dienen.

Diese Tricks halfen allerdings nicht im Test des beyoCBS Readers. Die blinden Testpersonen versuchten vergeblich, ein DIN-A4-Blatt korrekt zu fotografieren. Wie wir nach einiger Zeit zufällig bemerkten, bedeutet ein Piepsen, dass die Hand nun ruhig gehalten werden muss, da der Ausschnitt automatisch fotografiert wird. Leider funktioniert das aber nicht gut. Permanent waren Zeilen vorn oder hinten abgeschnitten, Text fehlte oben oder unten, ein sinnvolles Vorlesen einer Vorlage war nicht möglich.

Etwas besser macht das der knfb Reader. Hier meldet die Sprachausgabe gleich nach dem Fotografieren, ob der Text korrekt erfasst wurde oder ob Teile abgeschnitten wurden. So kann man sofort ein neues Foto schießen, ohne sich erst durch vorgelesene Textbruchstücke quälen zu müssen – wie es beim beyoCBS Reader der Fall ist. Aber wie gesagt: auch mit dem knfb Reader ist ziemlich viel Übung erforderlich!

Am besten gefallen hat uns die Ausrichthilfe des TextScouts. Hier zeigen höher werdende Töne an, wann die Position korrekt ist. Das Foto wird dann automatisch ausgelöst. Diese Funktion hat im Test einwandfrei funktioniert. Auch der TextScout meldet nach erfolgter Aufnahme, ob Text oben oder unten abgeschnitten wurde.

Wird der erfasste Text zuverlässig vorgelesen?

Hat das Fotografieren mit dem knfb Reader erst einmal geklappt, liest die Sprachausgabe den erfassten Text recht zuverlässig vor.

Die Wiedergabe einer Normalvorlage in Schwarz/Weiß-Kontrast mit der Schrift Arial erfolgt fast fehlerfrei. Erst bei Schriftgrößen unter 7 Punkt traten gehäuft Fehler auf. Problemlos verliefen beispielsweise auch die mehrfarbige Textdarstellung, Text in einer Infobox, das Vorlesen von E-Mail- und Internetadressen und die Spaltenerkennung. Auch Zahlen einer Tabellenvorlage wurden sinnvoll vorgelesen. Fehler traten z.B. bei einer Zeitungsvorlage auf – vermutlich aufgrund des schwächeren Kontrastes.

Nicht ganz so gut schnitt der TextScout ab. Eine Normalvorlage mit 12-Punkt-Arialschrift wurde nicht immer fehlerfrei wiedergegeben. In unserem Test kam es vor, dass mehrere Aufnahmen notwendig waren, bis ein relativ fehlerfreies Ergebnis erzielt wurde. Während die mehrspaltige Anordnung einer Tageszeitung erkannt wurde, bereitete die sinnvolle Wiedergabe von Tabellen Probleme. Positiv: auch schwächere Kontraste (Tageszeitung) wurden gut erkannt.

Auf eine eingehende Prüfung des beyoCBS Readers haben wir verzichtet. Wie beschrieben, war es den blinden Testpersonen nicht möglich, Text korrekt aufzunehmen. Selbst der sehenden Mitarbeiterin gelang dies nur ab und zu. Bei den Testdurchläufen hat sich weiterhin gezeigt, dass das gesamte System noch nicht stabil läuft.

Abspeichern von Texten

Der TextScout sowie auch der knfb Reader bieten eine sprachgestützte Dateiverwaltung. Texte werden automatisch im TXT- Format, beim TextScout optional auch im RTF-Format abgespeichert. Diese Funktion kann bei beiden Programmen aber auch abgeschaltet werden.

Der knfb Reader bietet die Möglichkeit, mehrere Seiten zu einem Dokument zusammenzufassen, das Löschen einzelner Seiten im Nachhinein ist aber nicht möglich. Mit beiden Produkten können die gespeicherten Dateien auf den Computer exportiert werden. Der beyoCSB Reader kann keine Texte abspeichern.

Textvergrößerung über das Handydisplay

Sowohl der TextScout wie auch der knfb Reader bieten die Möglichkeit, den aufgenommenen Text vergrößert auf dem Telefondisplay wiederzugeben. Sehbehinderte Nutzer sollten prüfen, wie gut sie mit dieser Vergrößerung auf dem relativ kleinen Handydisplay zurechtkommen.

Fazit:

Ob die Texterfassung mit einem Handy funktioniert, ist zunächst davon abhängig, wie gut das Schriftstück mit der Handykamera fotografiert werden kann. Eindeutiger Sieger ist hier der TextScout, der mit seiner Ausrichthilfe blinde Nutzer durch Töne unterstützt.

Das korrekte Vorlesen der Vorlagen klappte dagegen beim knfb Reader besser als beim TextScout. Beide Produkte sind allerdings nicht billig: der knfb Reader liegt bei ca. 1.200 Euro, der TextScout kostet über 800 Euro. Leider ist der mit 80 Euro im Vergleich extrem günstige beyoCBS Reader keine wirkliche Alternative. Im praktischen Test gelang es den blinden Probanden nicht, die Vorlagen richtig zu fotografieren.


Auf dieser Seite kommen 2 Begriffe vor, die in unserem Wörterbuch erläutert werden: OCR Software und Sprachausgabe.


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Letzte Änderung: 05.07.2010 | © 2006 - 2013 DIAS GmbH | Impressum | Barrierefrei?