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von Heike Ackermann, INCOBS 2008
Nach der aktuellen Rechtsprechung haben blinde Menschen Anspruch darauf, eine Braillezeile für den privaten Bereich finanziert zu bekommen. (Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts vom 16.04.1998, Az. B 3 KR 6/97 R).
Das gilt dann, wenn sie Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Eine Braillezeile wird in folgenden Bereichen eingesetzt:
Sowohl das offene, als auch das geschlossene System steht im Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen. Das heißt, sie können von den Krankenkassen finanziert werden. Krankenkassen und Gerichte sind unterschiedlicher Auffassung darüber, ob man eine Braillezeile braucht oder nicht, um ein Lesesystem sinnvoll nutzen zu können.
Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen: Der blinde Mensch muss
Ganz allgemein gilt: Um ein Lesesprechgerät - egal ob offenes oder geschlossenes System - zu bekommen, muss man es im Durchschnitt mindestens 5 Stunden in der Woche benutzen. Wenn Sie gerne und viel lesen oder jeden Tag Ihre Post bearbeiten, dürfte es kein Problem sein, diese Zeit zu erreichen. Niemand steht mit der Stoppuhr hinter Ihnen und kontrolliert Sie. Mit dieser Zeitangabe soll erreicht werden, dass ein Hilfsmittel auch tatsächlich eingesetzt wird und nicht ungenutzt und eingestaubt in einer Ecke steht. Studierenden wird unterstellt, besonders lesefreudig zu sein. Aber Vorsicht: Fürs Studium oder für die Ausbildung darf es nicht sein, dafür ist in der Regel der Sozialhilfeträger zuständig!
Es ist gesetzlich geregelt, dass die gesetzlichen Krankenkassen nur Hilfsmittel finanzieren dürfen, die dem Ausgleich einer bestimmten Behinderung dienen. Das ist bei einer Braillezeile der Fall. Sie dient dazu, optische Informationen, die ein blinder Mensch sonst nicht nutzen könnte, in für ihn lesbare Schrift umzusetzen. Von Sehenden wird sie nicht genutzt.
Die Krankenkassen dürfen keine Hilfsmittel finanzieren, die "Gegenstand des täglichen Gebrauchs" sind. Die Rechtsprechung hat mittlerweile PCs als Gegenstand des täglichen Gebrauchs eingestuft. Der Grund ist, dass inzwischen viele Menschen zuhause einen PC benutzen, egal ob sie behindert sind oder nicht. Deshalb dürfen die Krankenkassen einen PC nicht mehr bezahlen, auch wenn eine Braillezeile ohne PC keinen Sinn hat.
Mittlerweile haben sich die Gerichte mit dem Ausbau einer Computeranlage zu einem offenen System beschäftigt. Auch über die Möglichkeit, mit Hilfe einer Braillezeile im Internet surfen zu können, wurde bereits zu Gunsten des Antragstellers entschieden. (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 16.02.2005, Az. L 1 KR 18/03)
Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Ein Teil der Gerichte sagt, dass Braillezeilen notwendig seien, damit blinde Menschen ihren Informationsbedarf ohne den Einsatz fremder Hilfe decken können. Das gilt sowohl für offene, als auch für geschlossene Systeme. Zu beiden Systemen gibt es Entscheidungen. Weitgehend einig sind sich die Gerichte nur in dem Punkt, dass ein blinder Mensch das Recht hat, mehr Informationsquellen zu nutzen, als nur das Radio. Allein mit einem Lesesprechgerät sei ein blinder Mensch immer noch auf fremde Hilfe angewiesen. Daran ändere sich auch durch den technischen Fortschritt nichts. Erst mit einer Braillezeile sei es blinden Menschen möglich, sich unabhängig zu informieren, weil z.B. Tabellen ohne Unterstützung durch Sehende erkannt werden können.
Einige Krankenkassen lehnen die Finanzierung einer Braillezeile ab. Sie begründen ihre Entscheidungen damit, dass die Lesesprechgeräte in den letzten Jahren technisch stark verbessert worden seien. Dadurch seien Braillezeilen nicht mehr notwendig und damit "unwirtschaftlich". "Unwirtschaftlich" ist ein Begriff aus dem Sozialversicherungsrecht. Damit ist kein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis gemeint, sondern eben Luxus, der nicht unbedingt nötig ist. Aus dem Grund bekommt man in der Regel auch nur eine 40er-Zeile und keine 80er Zeile. Im Zusammenhang mit Hilfsmitteln bedeutet "unwirtschaftlich" die Abwägung von Kosten und Nutzen. Damit wird begründet, dass man ein Hilfsmittel nur bekommt, wenn man es auch oft genug benutzt. Alles, was von der Rechtsprechung als unwirtschaftlich eingestuft wird, darf von den Krankenkassen nicht finanziert und von den Hilfsmittelfirmen nicht geliefert werden.
Ein Teil der Gerichte schließt sich diese Auffassung an. Es gibt aktuelle Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz, die rechtskräftig sind (Aktenzeichen L 5 KR 59/04 vom 26. August 2004 und vom 3. März 2005, Aktenzeichen ist nicht bekannt).
Nachdem diese Urteile bereits bekannt waren, hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 24.11.2005, Aktenzeichen L 2 KN 12/05 KR einem blinden Kläger eine Braillezeile zugesprochen. Der Kläger hatte von seiner Krankenkasse bereits ein Lesesprechgerät erhalten.
Die Braillezeile bietet den blinden Menschen, die die Brailleschrift beherrschen, andere Informationsmöglichkeiten, als ein Lesesprechgerät. Darauf geht die Rechtsprechung leider nicht ein. Mit einer Braillezeile kann ein blinder Mensch selber im eigentlichen Sinn lesen und ist nicht auf das Zuhören beschränkt. Lesen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Schon vielen sehenden Menschen fehlt heute der Zugang zur Schrift und sie können nicht oder nur sehr schlecht lesen ("funktionaler Analphabetismus"). Lesen zu können, ist für die Bewältigung des Alltags unverzichtbar.
Gerade für blinde und sehbehinderte Menschen bietet das Internet Informationen, die sonst nicht erreichbar wären. Selbst übersichtlich gestaltete Internetseiten kann man sich kaum erschließen, wenn ausschließlich eine Sprachausgabe zur Verfügung steht.
Braillezeilen sind trotz des technischen Fortschritts nicht überflüssig geworden. Eine Braillezeile ermöglicht:
Ob und in welchem Umfang eine private Krankenversicherung die Kosten für Hilfsmittel übernimmt, hängt vom Tarif jeder einzelnen Versicherung ab. Hat man eine Behinderung bereits vor Vertragschluss, sind Hilfsmittel zum Ausgleich dieser Behinderung dann häufig von der Leistung ausgeschlossen. Manche Versicherungen orientieren sich an der Beihilfeverordnung. Das ist für Beamtinnen und Beamte. Wichtig: Weil die Leistungspflicht der privaten Krankenversicherungen so unterschiedlich geregelt ist, sollte man sich unbedingt bei seiner Versicherung erkundigen, ob sie die Kosten für das gewünschte Hilfsmittel auch wirklich übernimmt.
Die Texte der Gerichtsentscheidungen finden Sie unter www.rehadat.de in der Datenbank Recht unter dem Stichwort "Braillezeile" oder unter Angabe des Aktenzeichens. Auszüge aus Gerichtsentscheidungen gibt es beim DBSV e.V. unter der Rubrik "Recht". Dort findet man auch die Schriftenreihe von Demmel/Drerup. Für Hilfsmittel im privaten Bereich ist Heft 3 sehr informativ. Es erklärt die Rechtsgrundlagen für die Bewilligung von Hilfsmitteln und enthält viele Hinweise auf Gerichtsentscheidungen. Beim Lesen hilft es sehr, wenn man schon rechtliche Vorkenntnisse hat.
Wichtige gesetzliche Vorschriften:
Auf dieser Seite kommen 4 Begriffe vor, die in unserem Wörterbuch erläutert werden: Braille, Braillezeilen, Lesesprechgerät und Sprachausgabe.
Letzte Änderung: 19.07.2010 | © 2006 - 2013 DIAS GmbH | Impressum | Barrierefrei?